Wie das Gehirn den Turbo anwirft

16.6.2018, 06:00 Uhr
Wie das Gehirn den Turbo anwirft

© Fotos: Wolfgang Fellner

 Tierisch startete der Neurobiologe, der in Braunschweig ein zoologisches Institut leitet. Beruhigende Nachricht: Die Meldung, Heranwachsende hätten eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne als Zebrafische, ist falsch: Junge Menschen bringen es immerhin auf elf Sekunden, die Fische auf acht.

Wie das Gehirn den Turbo anwirft

Deutlich länger, eine gute Stunde, schenkte das Publikum seine Aufmerksamkeit den Worten Kortes. Viele Zuhörer, auch zahlreiche Gäste von außerhalb, kamen, die Residenz war bis auf den letzten Platz gefüllt. Wolfgang Fellner, Redaktionsleiter der Neumarkter Nachrichten, moderierte den Abend.

Das Gedächtnis arbeitet selektiv, schildert Korte: Merken könne man sich Inhalte, die eine Bedeutung haben, mit denen sich etwas assoziieren lässt, die man für die Zukunft für bedeutsam hält und die mit positiven Emotionen verknüpft sind.

In Zeiten digitaler Medien ist die Verführung groß, viele Inhalte abzurufen. Doch wer mehrere Kanäle gleichzeitig anzapft, ist kein Multitasking-Held, sondern macht schlicht mehr Fehler, sagt Korte.

Das Arbeitsgedächtnis ist ein Portal zwischen Informationen und Gehirn, es entscheidet, welche Reize Vorfahrt haben. Im ganzen Gehirn sind Daten gespeichert, die auf 100 Millionen CDs passen würden. Das Arbeitsgedächtnis hat nur 120 bits pro Sekunde, und um einem Menschen zuzuhören, sind schon 60 bits/Sekunde nötig.

Außerdem braucht das Gehirn eine Eindenkphase in ein neues Thema, etwa ein neues Schulfach, die zwischen zwölf und 15 Minuten liegt. Daher seien Doppelstunden wichtig: Wenn das Gehirn schonmal den Algorithmus hochgeladen hat, sollte es länger dabeibleiben dürfen. Das gilt auch bei den Hausaufgaben: Wer parallel zu Mathe am Smartphone hängt, macht mehr Fehler und braucht länger. Nach einem Fach ruhig mal Pause machen, aber bei einer Sache durchgehend dranbleiben, rät Korte.

Wissen dockt an

Die ständige Verfügbarkeit von Wissen ändert Zugriffsweisen des Gehirns: Welche Länder grenzen an Deutschland? Digital natives, Leute, die mit Internet und digitalen Medien aufgewachsen sind, aktivieren bei leichten Faktenfragen ein Areal im Gehirn, das nach einer Lösungsstrategie sucht, etwa: im Internet nachschauen. Ältere bemühen dagegen ein Areal, in dem Fakten gespeichert sind, und rufen das Wissen direkt ab.

Manche Forscher sehen das als evolutionäre Anpassung, die Räume im Hirn freimacht für Kreativität etwa. Korte ergänzt, dass vorhandenes Wissen die Wahrnehmung beeinflusst und die Möglichkeiten, Wissen anzudocken. Ein Botaniker gehe mit anderem Blick durch den Wald als ein Laie.

Dabei will er nicht digitale Medien in Misskredit bringen, er möchte allerdings die kluge Nutzung anraten. Tablets seien für Siebtklässler eine feine Sache. Auf die Frage einer Zuhörerin, die eine Kita leitet und digitalen Medien im Kindergarten skeptisch beurteilt, schließt er sich an: Kleine Kinder haben keinen Vorteil, wenn sie mit Tablets zugange sind, meint er; sie würden aber auch keinen tiefgreifenden Schaden erleiden. Allerdings sei es für Kindergartenkinder förderlich, wenn sie einen Raum haben, aus dem digitale Geräte verbannt sind.

Es sei nicht egal, ob man einen Text am Bildschirm oder gedruckt lese, sagt er: Nach gedruckter Lektüre kann man sich an zehn Prozent mehr des Inhalts erinnern. Beim Buch wisse man: Das war im ersten Drittel, das stand auf der Seite oben links — diese räumliche Verortung helfe.

Gut seien auch Zusammenhänge, die beim Ordnen und Abrufen helfen: So lässt sich die Zahlenreihe 91119893101990 schwer merken. Wenn man sie als Daten liest, 9.11.1989 3.10.1990, wird es leichter, zumal mit dem geschichtlichen Kontext für Deutschland. Überhaupt sind Geschichten, Erzählungen fürs Gehirn ein probates Speicher- und Zugriffswerkzeug.

Bewegung und Abwechslung

Lernen gelingt, wenn sich ein Kind wohlfühlt in der Gruppe. Und wenn Pädagogen gern am Werk und gut ausgebildet sind, wenn das Bildungssystem gut angesehen ist, das zeigen Studien. Auch Gebäude, Geruch, Atmosphäre spielen eine Rolle. Der Wechsel verschiedener Unterrichtsformen tut gut: Neue Reize machen neugierig, wenn Frontalunterricht mit Gruppenarbeit und Stationen aufeinanderfolgen und wenn man das Gelernte anderen weitergeben soll. Bewegung hilft, denn so entstehen neue Nervenzellen und neue Verbindungen. Bilder verankern sich besser als nur Gehörtes.

Hirneigene Drogen spielen auch eine Rolle: Das Dopamin ist ein Turbo, der ausgeschüttet wird, wenn das Gehirn die Lösung noch nicht weiß, aber glaubt, dass das möglich ist. Das passiert nur dann, wenn ein Kind Erfolgserlebnisse hat. Wer immer spürt: "bin eh zu blöd", schmeißt den gar nicht mehr an. Bei Lob kommen noch Opiniode wie Endorphin dazu. Und Oxytocin gelangt ins Blut, wenn sich ein Mensch sicher und wohlfühlt — dank dieses Hormons ändern sich die Synapsen-Verbindungen, wichtig, wenn man nachhaltig lernen will.

Schlechte Folgen hat es, wenn aus Konzentration und Stress Angst wird, erklärt Korte: Dann schüttet die Amygdala im Hirn Hormone aus, die das Assoziieren verhindern, das Transferdenken ist blockiert.

Sein Tipp zur Vorbereitung auf Prüfungen: In Häppchen lernen und immer wieder wiederholen, mit Pausen dazwischen. Dann braucht man weniger Zeit und das Wissen ist langfristig verankert.

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