Wortgewalt, Komik und atemlose Stille

20.3.2010, 00:00 Uhr
Wortgewalt, Komik und atemlose Stille

© Netter

Gleißendes Licht draußen, eine in mattes Scheinwerferlicht getauchte Bühne drinnen. Zum Bersten voll ist es. Noch nie hat in Neumarkt ein Dichterwettstreit stattgefunden, ob es eine nette Schulveranstaltung oder die Geburtsstunde einer Poetry-Slam-Szene wird, weiß keiner.

Am Ende des Abends ist klar: Neumarkts Klassenzimmer bergen ungeheure Talente. Jungs, die jeden Einwurf der durchaus kritischen – da durch Fanclubs nicht unvoreingenommenen – Zuhörerschaft rotzfrech kontern, Mädels, die wortgewaltig über das Rasen der Zeit sprechen, Jugendliche, die sich und dem Publikum mit ihrer Prosa in den Kopf schießen.

Mit solchem Potential hatten selbst die Initiatoren des Projekts – das Kulturamt, das Jugendbüro, die Stadtbibliothek und alle hiesigen Schulen – nicht gerechnet. Ziel war, der Jugend die Freude an Sprache näher zu bringen. Sie durch Basteln an den auf maximal sechs Minuten dauernden Vorträgen weg von SMS-Sprache, hin zum Spiel mit Worten, Rhythmen, Inhalten zu bringen.

Dass selbst Zwölfjährige hetorische Purzelbäume draufhaben, zeigte sich spätestens bei dem zweitägigen Workshop unter Leitung des Nürnberger Slammers Michael Jakob. Er half beim Schürfen nach Worten, ermunterte, dem eigenen Stil zu folgen, gab den Tritt auf die Bühne.

13 stellten sich in den Lichtkegel, blinzelten in den Saal, holten tief Luft – und legten los. Einer der Sieger, der zwölfjährige Johannes Walk von der Knabenrealschule, erzählte, wie er und seine Geschwistern den ersten Mesner-Einsatz des Vaters zu einem unheiligen Auftritt machten. D Husn am Arsch aufgrissen is seim Buam, ze fix, und an der Kerzn verbrannt hat er si a! Das Publikum johlt, Hände brennen vom Klatschen. Der Applaus entscheidet, wer nochmal vortragen darf. Johannes darf. Genau wie Dominik Steffan (KRS) dank seines Mathegedichts und einem Vogel, der ihm den Sinn von Algebra erklärt und der 18-Jährige Christopher Maschek (OG), der nur anfangs wie eine perfekte Kopie von Piet Klocke wirkt und dann zeigt, dass ein echter Maschek weit wortgewandter, humorvoller, eindringlicher ist.

Als Johannes das zweite Mal die Bühne betritt, ist der Schelm aus seinem Gesicht verschwunden. Jetzt ist er ein Kind, der nach einem Beben unter Trümmern begraben ist. Das leben will, dessen Körper aber nichts vermag als Atemzug, Herzschlag, Atemzug, Herzschlag. Das mit reglosen Gliedern gegen den schleichenden Tod ankämpft. »Atemzug, Herzschlag, Atemzug, Herzschlag», flüstert Johannes, wird leiser, verstummt.

Atemlose Stille im Publikum, danach tosender Applaus. Da es sich zwischen Johannes und Christopher nicht entscheiden kann, werden beide zu Siegern gekürt. Doch allen, die beim ersten Poetry Slam auf die Bühne traten, gebührt Respekt: Klaus Götz und Samuel Matei (WGG), Martina Knopp und Christina Brandl (MRS), Nicole Muszeika und Christine Renker (FOS/BOS), Andreas Wiedmann (KRS), Edward Auf (HS Weinberger) sowie Lena Hönig und Karla Vorkauf (OG).

Wer selbst nach dem Poeten in sich suchen will, kann das am Mittwoch, 24. März, um 15.30 Uhr im G6. Hier findet ein Vortreffen für neue Workshops statt.