1. April 1966: Straßenbahn fährt aus dem Defizit

1.4.2016, 07:00 Uhr
1. April  1966: Straßenbahn fährt aus dem Defizit

© Kammler

Die Wagen werden elektronisch vom Hochhaus am Plärrer aus ferngesteuert. Eine Fernkamera am Führerstand ersetzt den Wagenführer. Sie meldet fortlaufend das Geschehen im Straßenverkehr, das Herannahen einer Haltestelle, die Ereignisse an den Übergängen einem Computer, einer Rechenmaschine mit Magnetspeicher, die automatisch über Relais die Motoren beschleunigt, abbremst oder ganz zum Halten bringt.

1. April  1966: Straßenbahn fährt aus dem Defizit

© Kammler

Die Vertreter der Nürnberger Presse hatten gestern Gelegenheit, an einer Probefahrt vom Plärrer bis zur Fürther Freiheit und zurück teilzunehmen. Es sei nicht geleugnet – etwas beklommen betrat man den Wagen und harrte der kommenden Dinge. Zwar traut man der modernen Technik viel, wenn nicht alles zu, aber im Geist hörte man es doch manchmal schon krachen.

Fahrgäste merkten nichts

Nichts dergleichen geschah. Der Sonderwagen mit der Aufschrift "Bitte nicht einsteigen" fuhr unbeirrt seinen Weg, bremste sanft und "mit Gefühl" an den Haltestellen, sogar die Klingelzeichen ertönten zur rechten Zeit. Die Fahrgäste, die an den Haltestellen warteten, haben zum größten Teil von der "Sensation" gar nichts gemerkt. Wie hätten sie auch auf den Gedanken kommen sollen, daß hier in aller Stille und ohne jedes Tamtam ein wegweisender Versuch stattfand.

Die technischen Einzelheiten des Verfahrens, die verwendeten Apparaturen sind zwar allesamt längs bekannt und werden für viele andere Zwecke eingesetzt, neuartig ist dagegen, wie Generaldirektor Prof. Dr.-Ing. Josef Ipfelkofer ausführte, ihre Kombination und ihre Anpassung an die strengen Sicherheitsvorschriften des Straßenbahnbetriebs. Man geht in Nürnberg so weit, daß man auch dem Computer, auf dessen Magnettrommeln der Fahrweg, die Betriebsverhältnisse der verschiedenen Linien, die Haltestellen gespeichert sind und dem fortlaufend die Ampelstellungen, das Türenschließen und tausend andere Einzelheiten gemeldet werden, vorerst noch nicht ganz traut.

In einem Nebenraum verfolgen Fahrdienstleiter den Wagenbetrieb und sie haben die Möglichkeit, über den "Roboter" hinweg einzugreifen, wenn sich etwas Unvorhergesehenes ereignen sollte. Beim bisherigen Probebetrieb war das noch nie nötig.

88 v. H. für Personalkosten

Durch den führerlosen Betrieb hofft die Leitung der Verkehrs-AG, endlich aus den roten Ziffern herauszukommen. Seit Jahren fressen die ständig steigenden Verluste der Verkehrsbetriebe – von knapp 10 Millionen im Jahr 1959 haben sie sich trotz (oder wegen) der Tariferhöhungen auf fast 16 Millionen im Geschäftsjahr 1964 erhöht – die Überschüsse der EWAG aus Gas- und Stromerzeugung und aus der Wasserversorgung wieder auf.

Am meisten schlagen dabei die Personalkosten zu Buch. Betrugen sie 1950 noch 68 v. H. der gesamten Fahrgeldeinnahmen der Verkehrsbetriebe, so mußten 1964 nicht weniger als 88 v. H. der erzielten Verkehrseinnahmen für Personalkosten aufgewendet werden. Auch aus diesem Grund muß man dem bedeutsamen Versuch der Städtischen Verkehrsbetriebe ein gutes Gelingen wünschen. Der Versuchsbetrieb, für den man die Strecke nach Fürth wegen des eigenen Gleiskörpers gewählt hat, steht übrigens vor dem Abschluß.

Heute um 10 Uhr – man will die ausgesprochenen Spitzenverkehrszeiten augenblicklich noch meiden, werden zwei Testwagen vom Plärrer, und zwar von der Haltestelle der Linien 1 und 21, zum erstenmal normal besetzt und für jedermann zugänglich, zur Fürther Freiheit fahren. Es werden keine besonderen Zuschläge erhoben und auch die normalen Dauerkarten gelten für diese beiden Testfahrten.

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