1. Mai 1970: Die Insassin von Aichach hat sich gewandelt

1.5.2020, 08:26 Uhr
1. Mai 1970: Die Insassin von Aichach hat sich gewandelt

© Lieselotte Seibel

Die Nürnberger Landtagsabgeordnete Lieselotte Seibel (SPD) steht als Parlamentarische Gefängnisbeirätin seit drei Jahren in engem Kontakt mit der derzeit prominentesten Insassin der Strafanstalt Aichach.

Wir sprachen mit der „Miß Landtag“ darüber, wie Vera Brühne verurteilt zu einem Leben hinter Gefängnismauern, heute lebt.

Lieselotte Seibel: „Ich habe Frau Brühne wiederholt und mehrstündig in Aichach gesprochen. Aber Sie müssen verstehen, daß ich als Gefängnisbeirätin keine Mitteilungen über Gespräche mit Gefangenen der Öffentlichkeit geben darf.“

Ob es einen Unterschied zwischen der Vera Brühne von 1967 und der von 1970 gibt?

„Natürlich. Frau Brühne hat sich sehr verändert. Vor drei Jahren lernte ich sie als verhärmte und verbitterte Gefangene kennen. Heute spürt man, daß sie neue Hoffnung geschöpft hat. Vera Brühne ist davon überzeugt, daß es doch noch eine Möglichkeit gibt, die Freiheit wiederzuerlangen.“

Welche Probleme Vera Brühne noch hat?

„Als intelligente Frau, die mitten in der Gesellschaft stand, liebt sie die Zusammenarbeit im Zuchthaus nicht sehr.“ Als einziger Ausgleich bleibe Vera Brühne die Gefängnisbücherei, und die könne nicht allzuviel bieten, zumindest nicht für eine Frau wie Vera Brühne.

Wie man als Gefängnisbeirätin den Fall Brühne sieht?

„Es gibt sicher nicht unberechtigte Zweifel daran, daß der Prozeß auch anders hätte verlaufen können.“ Das wünscht die Abgeordnete Seibel der inzwischen zwar ergrauten, aber noch immer attraktiven Gefangenen Vera Brühne: einen fairen Prozeß.

Wie die Nürnberger Abgeordnete dazu kommt, sich für eine Frau einzusetzen, die immerhin wegen Mordes verurteilt worden ist?

"Als Parlamentarische Gefängnisberaterin ist sie laut „Stellungsbefehl“ des Ausschusses für Eingaben und Beschwerden mehr oder minder die Beichtmutter für alle Gefangene in den Strafanstalten Aichach und Nürnberg. Wie kaum jemand anders sieht sie die Sorgen und Nöte im Personal und in den Zellen sowie im gegenseitigen Zusammenleben. Sie weiß auch, wie durch Strafen Familien zerrüttet, Kinder in soziales Unglück und sogar Häuser verpfändet werden, weil der Verdienst eines Partners fehlt."

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