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10. Oktober 1971: Schutz vor Interessen der Minderheiten

10.10.2021, 07:00 Uhr
10. Oktober 1971: Schutz vor Interessen der Minderheiten

© Gerullis

Vor Görl hätte bereits Wirtschaftsreferent Dr. Doni gesprochen, den abschließenden Vortrag wird Dr. Hans-Georg Schmitz am 21. Oktober 1971 um 20 Uhr, halten und dabei vor allem die finanziellen Grenzen der Pläne des Baureferats aufzeigen. Görl hofft, daß Nürnberg in absehbarer Zeit als Konsequenz der politischen Entspannung seine zentraleuropäischen Mittelpunktlage wiedergewinnen wird, die der Stadt in früheren Jahrhunderten zu ihrer großen Bedeutung verholfen hat.

Die Konsequenzen aus der Sicht des Baureferenten: Ausbau des Intercity-Verkehrs der Bundesbahn, Fertigstellung der Autobahnen von Nürnberg über Stuttgart nach Paris, über Regensburg nach. Wien, über Amberg nach Prag, über Augsburg nach Mailand, Anschluß an den internationalen Flugverkehr. Im Nahbereich stehen die S-Bahn und die U-Bahn im Vordergrund, wobei der Regionalbahnhof aus der Stadt hinaus an die neu zu bauende Entlastungsstrecke von Roth nach Feucht verlegt werden soll.

Görl stellte zehn Thesen auf, aus denen sich die Ziele der Stadtentwicklung ableiten lassen. Das Leitmotiv der Thesen: „Die Stadt muß vor den Interessen von Minderheiten geschützt werden; das dient allen Bürgern, die Nürnberg als ihre Heimat betrachten und ein Recht haben, unter menschlichen Bedingungen zu wohnen, zu arbeiten, sich zu bilden, die Freizeit zu genießen.“ Görls sozialpolitische Themen:

Vorrang erhält der Verkehr auf der Schiene

1. Erscheinungsbild und ehemalige Gestalt der Altstadt sind zu erhalten. „Der Ringzug der mittelalterlichen Befestigung soll als Erholungszone weiter ausgebaut werden.“

2. Die Altstadt muß für den Fußgänger neu erschlossen oder zurückgewonnen werden. „Das System von Fußgängerzonen ist entscheidend zu erweitern. Der U-Bahn-Bau wird dazu entscheidender Anstoß sein.“

3. Beschränkung des Individualverkehrs, also des Autobetriebes in der City. „Als Ergänzung des regionalen S-Bahn-Systems ist der Ausbau des U-Bahn-Netzes vorrangig. Dort, wo der Individualverkehr notwendig ist, soll das Straßennetz weiter ausgebaut werden. Projektion: Ausbau der Ringstraße im nördlichen und östlichen Teil, Anschluß der Regionalautobahnäste von Westen, Süden und Osten innerhalb der Ringstraße, späterer Ausbau des Autobahnsterns und der Tangenten Ost und West.“

4. Schaffung gesunder Umweltbedingungen. „Dazu sind aktive Beiträge der Stadt möglich durch Sanierung des kanalnetztes, Beseitigung alter Einläufe in die Pegnitz, Ausbau der Fernwärmeversorgung und eine verstärkte Abwasserreinigung.“

5. Die Planung der Wohngebiete muß neuestem hygienischem, soziologischem und technischem Erkenntnisstand entsprechen. „Im Nordostteil von Langwasser soll die Bevölkerung an der Erprobung neuer Wohn- und Siedlungsformen teilnehmen. Walzwerkstraße und Alt-Mögeldorf werden in verstärktem Maße als Wohngebiete erschlossen.“

6. Die Sanierung überalterter Stadtgebiete ist Bestandteil der städtebaulichen Gesamtplanung. „Sanierung ist vor allem ein soziales und stadtstrukturelles Problem. Auswirkungen für die Bewohner müssen vorher gezielt untersucht werden.“

7. Stadtbildpflege nach ästhetischen und sozialen Kriterien. „Eingriffe sind so behutsam wie möglich vorzunehmen.“

8. Arbeitsstätten in das Stadtgefüge einordnen. „Das Ziel sind kurze Wege von der Wohnung zur Arbeit und zu den Dienstleistungszentren.“

9. Soziale und kulturelle Einrichtungen dürfen nicht Opfer einer hemmungslosen Bodenspekulation werden. „Neben der Aufgabe, im Süden der Stadt ein integriertes Gesundheitszentrum zu errichten stehen Gemeinschaftshäuser ebenso an wie Gesamtschulzentren.“

10. Der Freizeitwert der Stadt ist zu steigern. „Die Freiflächenbereiche Pegnitztal Ost-Wöhrder See, Rednitztal und Westpark sollen ausgebaut, die im Einflußbereich des neuen Messegeländes liegenden Teile des Volksparks Dutzendteich aktiviert werden.“

Weitere Etappen des Görlschen Planspiels: Wasser aus der Donau und der Altmühl soll in Brombach und Klein-Roth gespeichert werden. Für die Energieversorgung sind bekanntlich Ferngasleitungen aus Holland und der Sowjetunion, Benützung von Kernenergie und der Ausbau der Stromanlagen projektiert. Grund zu Emotionen lieferte in der Diskussion wieder einmal das Thema Knoblauchsland.

Obwohl Görl betonte, daß die geplante Verbindungsbahn Nürnberg (Nord)-Eltersdorf die Struktur des Landes nicht beeinträchtigen werde, wurde unter den Zuhörern Unmut laut. Denn viele Gemüsebauern befürchten weiterhin, daß ihnen die Güterbahnlinie durch das Knoblauchsland den Ruin bringen könnte.

Zum Abschluß seines grundlegenden Vortrags über Nürnbergs künftige Entwicklung gab Otto-Peter Görl eine nahezu lyrische Liebeserklärung an Nürnberg ab.

Er sagte im Wortlaut:

„Nürnberg war und ist eine kraftvolle, lebendige Stadt. Ihr Rhythmus ist ein Allegro forte, gespielt von der Finger- und Handfertigkeit fleißiger und geschickter Menschen. Seit dem Hämmern und Klopfen in den alten Zunftgassen bis zum Surren und Dröhnen hochmoderner Industriewerke hat sich noch nie romantische Idylle oder Lethargie über Nürnberg gelegt.

Ein altes Wort hat empfohlen, man solle in Nürnberg das Geld verdienen, um es in Bamberg zu verleben. Das neue Wort muß heißen: Nürnberg ist nicht nur eine Stadt des Werktags – es ist gut in Nürnberg zu leben, gemütlich, freundlich als Stadt mit Verstand und Herz. Vergessen wir nicht: Der Mensch wird ein Städter sein oder er wird nicht mehr sein.“

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