13. November 1970: Tor in die Zukunft ist aufgestoßen

13.11.2020, 07:00 Uhr
13. November 1970: Tor in die Zukunft ist aufgestoßen

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• Im südlichen Hafenbereich, unmittelbar neben dem Stichkanal für den Schwerlastverkehr, wird voraussichtlich ein Elektro-Stahlwerk entstehen. Der Vorvertrag dazu ist bereits unterzeichnet. Die Investitionen auf dem fast 30 Hektar großen Gelände dürften bei 500 bis 600 Millionen Mark liegen.

• Links und rechts neben dem Stahlwerk werden eine Shredder-Anlage und ein Schrottverwertungsunternehmen angesiedelt. Eine Shredder-Anlage (große Hammer-Mühle amerikanischer Bauart, die Autowracks zu kleinen Stahlpaketen preßt) gibt es derzeit in der Bundesrepublik noch nicht: sie soll in der Noris die Autofriedhöfe verschwinden lassen.

• Für das Industriegebiet Nord laufen Verhandlungen mit einem chemisch-phar-mazeutischen Konzern, der eine Fläche von 20 Hektar benötigen würde. Falls es zum Vertragsabschluß kommt, ist hier ebenfalls mit Investitionen von einigen hundert Millionen Mark zu rechnen.

• Weiter werden in der Stadt derzeit rund 160 Wünsche auf An- oder Umsiedlung verfolgt. Die später daraus resultierenden Gesamtinvestitionen sind noch nicht überschaubar. Allein für den Hafenbereich rechnet man mit rund 200 Millionen Mark – soviel, wie auch für den Hafen, Ausbaustufe I, vom Staat (100 Millionen) und von der Stadt (120 Millionen) aufgewendet werden müssen. Dies alles ist keineswegs mehr reine Zukunftsmusik.

In ständigen Verhandlungen haben das Wirtschaftsreferat der Stadt, an der Spitze Dr. Wilhelm Doni, und Hafendirektor Walter Lechner den Boden so weit geebnet, daß heuer schon mit den ersten Baumaßnahmen im Industriegebiet Maiach begonnen werden kann. Im eigentlichen, flächenmäßig schon ausgebuchten Hafenbereich wird die Bautätigkeit im kommenden Frühjahr aufleben; das erste Baugesuch eines Unternehmens liegt in der Hafenverwaltung schon vor.

Die weiteren Schritte: voraussichtlich in zwei Jahren kann die Stadt sich finanziell an die Erschließungsanlagen für das 60 Hektar große Industriegebiet Nord heranwagen. Das über doppelt so große Industriegebiet Süd (135 Hektar) soll bis 1975 baureif sein.

Allein die immensen Investitionen im Hafen und in den Industrie-Gebieten reichen aus, die Wirtschaft in der Noris für einige Zeit in Schwung zu bringen. Noch mehr ist dies dann von den neuen Betrieben und Niederlassungen zu erwarten. Durch den Multiplikator-Effekt werden sich Kanal und Hafen schließlich wachstumsfördernd auf die gesamte Wirtschaft auswirken. Dr. Doni: „Auch der Juwelier in der Karolinenstraße profitiert noch davon, denn die Folge solcher Wachstums-Impulse wird eine Einkommenserhöhung sein.“

Dies ist um so mehr gewiß, als der Hafen und die ihn umlagernden Industriegebiete Nürnberg nicht die erhoffte infrastruktuelle Bereinigung bringen: nur wenige Firmen siedeln aus der Stadt ins Hafengebiet um (so beispielsweise die Metallgießerei an der Maiacher Straße). Der überwiegende Teil ist reine Expansion und damit ein Gewinn für Nürnberg. Dr. Doni ist allerdings etwas skeptisch: „Ich bin gespannt darauf, was 1972 passiert, wenn der Boom nachläßt. Möglich, daß die Entwicklung dann zunächst nicht so stürmisch verläuft, wie es jetzt aussieht.“

Aber sie wird nicht aufzuhalten sein. Denn in zehn, spätestens in 15 Jahren ist aus der Stadt eine Verkehrs-Drehscheibe geworden, wie es in bundesrepublikanischem Binnenland keine gibt: außer dem Kanal wird dann eine leistungsfähige Stadt-Autobahn Nürnberg durchziehen mit Anschluß an die Autobahnen München – Berlin, München – Würzburg – Frankfurt und Schwabach – Heilbronn. Gewichtige Faktoren sind weiter sieben Haupteisenbahnlinien und der Flughafen.

Fazit: die Großschiffahrtsstraße bringt nicht nur einschneidende Veränderungen in der Landschaft. Sie wird sichtbarere Folgen da haben, wo Hafenanlagen zusammentreffen mit günstigen anderen Verkehrsbedingungen und mit einem auf Expansion eingestellten Wirtschaftsraum.

Eine Stadt, die diese Voraussetzungen in besonderem Maße erfüllt, wird innerhalb weniger Jahre einen Aufschwung erleben, wie er sonst nur in vielleicht zwei oder drei Jahrzehnten möglich gewesen wäre. Nürnberg ist eine solche Stadt.

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