16. Januar 1971: Giftschwaden über Nürnberg

16.1.2021, 07:00 Uhr
16. Januar 1971: Giftschwaden über Nürnberg

© Ulrich

Asthmatiker, Herz-, und Kreislaufkranke ringen nach frischer Luft. Nur wenige Stunden genügen, um Fenster und Autodächer mit Rußpartikeln zu übersäen. Längst hat die Luftverschmutzung in Nürnberg einen Grad erreicht, bei dem die Gesundheitsschäden in der Bevölkerung nicht mehr wegzuleugnen sind.

Der Schwefeldioxydgehalt beträgt in diesen Tagen das Doppelte dessen, was das Bundesgesundheitsministerium für gerade noch vertretbar hält. Nach einer ministeriellen technischen Anleitung sollte der Schwefelgehalt den Dauerwert von 0,4 Milligramm pro Kubikmeter nicht übersteigen. Was die Chemische Untersuchungsanstalt der Stadt jedoch in den letzten Tagen gemessen hat, läßt selbst Optimisten erschrecken: am 10. Januar wurde ein Dauerwert von 0,84 Milligramm pro Kubikmeter Luft ermittelt.

Nur vertikale Luftströmungen können die Dunstglocke über Nürnberg abheben und die Stadt vom Smog befreien. Dazu jedoch ist eine wärmere Temperatur erforderlich. Das war in den letzten Wochen nicht der Fall. Die Folge: aus Tausenden Haushaltskaminen, aus der Industrie und aus mehr als 100 000 Kraftfahrzeugen werden täglich immer mehr giftige Gase in Nürnbergs Luft abgeleitet. In der Stadt sind immerhin 144 624 Kraftfahrzeuge zugelassen.

Während die Autoabgase, während Kohlenoxyd sich durch Übelkeit und Kopfschmerzen rasch bemerkbar macht, atmen die Menschen mit Schwefeldioxyd ein tückisches Gift ein, das sich im Körper kaum feststellen läßt und doch äußerst schädlich ist. Direktor Dr. Bruno Trinczek, Leiter der Chemischen Untersuchungsanstalt, meinte dazu: „Die schädlichen Erscheinungen lassen sich fast nur in Statistiken, nämlich in höheren Sterblichkeitsziffern feststellen.“

Dr. Trinczek ist es auch, der die Gefährlichkeit des Schwefeldioxyds auf die Pflanzenwelt erwähnt: „0,75 Milligramm reichen bereits aus, um bei Dauereinwirkung Schäden bei den Nadelholzbeständen in den Wäldern um Nürnberg hervorzurufen.“

Den größten Teil der Luftverschmutzung steuert, so Sozialreferent Dr. Max Thoma, der Hausbrand bei. Und dagegen können die Behörden herzlich wenig tun. Verwaltungsrat Emanuel Farnbacher vom Amt für öffentliche Ordnung verrät, daß im Jahre 1970 rund 140 Beschwerden gegen Störungen wie Rauch, Ruß und Gerüche zu bearbeiten waren. Aber gegen den Smog, der jetzt schon tagelang die Bevölkerung belästigt, beschwert sich kaum einer; er wird als Naturgesetz hingenommen.

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