16. Juni 1966: Kritik an Ausflügen

16.6.2016, 07:10 Uhr
16. Juni 1966: Kritik an Ausflügen

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Aus den Zeilen, die seine Mitschülerinnen und Mitschüler zu Papier brachten, ist ebenfalls zu entnehmen, daß sich die Jugend ihre eigenen Gedanken macht. Nicht minder drastisch sind die Zeichnungen, die in den Schulen zum 17. Juni angefertigt worden sind.

Überall aber ist der Wunsch zu spüren, daß es eines Tages keine Mauer und keine Zonengrenze mehr gibt. Aus den Zeichnungen spricht der Ernst, den die Jugend beim Gedanken an die Spaltung Deutschlands empfindet. Die jungen Künstler wählten meist die Mauer als Motiv auf ihren Blättern, die viel Stacheldraht, bewaffnete Zonensoldaten auf der Lauer, winkende Menschen hüben und drüben oder Kreuze zeigen. Immer wiederholt sich: pulsierendes Leben im Westen, Öde im Osten.

Eindrucksvoll sind die Darstellungen von der Zonengrenze. Ein Achtkläßler aus der Bismarckschule läßt einen Schienenstrang am Stacheldraht enden, hinter dem ein besetzter Wachtturm hervorragt. "Zerfetzt und zernagelt" hat ein Junge aus einer fünften Klasse seine Zeichnung genannt. Auf weißem, gezacktem Papier dringt ein Nagel mitten durch die Umrisse Deutschlands.

Jugend mit Erwachsenen nicht zufrieden

Die Aufsätze der Jugend, die übrigens heute durch ihre Lehrkräfte noch einmal auf die Bedeutung des 17. Juni hingewiesen wird, beweisen, daß sie über die Vorgänge in Ostberlin und Mitteldeutschland vor 13 Jahren erstaunlich gut informiert ist. "Am 15. Juni legten Bauarbeiter in der Ostberliner Stalinallee die Arbeit nieder, weil die SED höhere Normen bei gleichen Löhnen verlangt hatte. Die protestierenden Menschen forderten unter anderem freie Wahlen und holten die rote Fahne vom Brandenburger Tor, ehe russische Panzer den Aufstand niederwalzten. Viele ließen dabei ihr Leben", schildert ein Schüler die Ereignisse, die – so bekennt er – für ihn weit zurückliegen.

Den Erwachsenen aber, die den 17. Juni miterlebt haben, wird ein Spiegel vors Gesicht gehalten. "Viele Menschen verwechseln den Gedenktag mit einem Feiertag. Sie halten Parties ab, gehen in die Bäder und machen sich keine Gedanken", steht in einem Aufsatz zu lesen. "Die meisten Menschen benutzen diesen Tag, um ihre langersehnten Ausflüge zu unternehmen", meint ein anderer Schüler, aber nur einer erwähnt, daß morgen in allen Städten der Bundesrepublik Ansprachen gehalten und Diskussionen veranstaltet werden.

Außerdem zeigt sich, daß die Diskussion um die Beibehaltung des 17. Juni nicht spurlos an der Jugend vorübergegangen ist. Die meisten möchten an der bisherigen Übung nichts geändert wissen, aber in einem Aufsatz steht zu lesen: "Meiner Meinung nach sollte man den 17. Juni nicht feiern, da man dadurch in uns Deutschen nur eine schmerzliche und schreckliche Erinnerung wachruft." Auch um die Passierscheingespräche, die einhellig begrüßt werden, und um den geplanten Redneraustausch zwischen der SPD und der SED, von denen sich viele einen Fortschritt erhoffen, kreisen die Gedanken der Buben und Mädchen.

Überall aber steht am Schluß die Hoffnung auf Wiedervereinigung. "Ich wünsche mir, daß das getrennte Deutschland eines Tages wieder zusammenkommen wird" oder "Abschließend möchte ich noch sagen: wenn wir auch heute den 17. Juni nicht zu bewußt begehen, wie es eigentlich einem hohen politischen Feiertag gebührt, so meine ich doch, daß in allen unseren Herzen der Wunsch nach Wiedervereinigung besteht."

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