16. November 1968: Gericht verzichtete auf Fritz Teufel

16.11.2018, 06:53 Uhr
16. November 1968: Gericht verzichtete auf Fritz Teufel

© Kammler

Der Prozeß, der im Gerichtsgebäude an der Flaschenhofstraße stattfand, konnte gestern nicht zu Ende geführt werden. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Wolfgang B. Vetter, legte am Nachmittag aus Protest gegen die Ablehnung mehrerer Beweisanträge durch das Gericht die Verteidigung nieder. Er sah sich, wie er erklärte, in der Verteidigung beschränkt. An seiner Stelle soll ein Pflichtverteidiger bestellt werden. Der Prozeß wird am 18. November fortgesetzt.

Die APO hatte mit einem Flugblatt, das auch in den Schulen verteilt worden war, zu einem „Justiz-Happening“ vor dem Gerichtsgebäude aufgerufen. „Fritz Teufel“, so hieß es darin, „ist auch dabei und wird sich was Schönes ausdenken!“ Teufel kam wie angekündigt, konnte aber im Gerichtsgebäude nicht wirksam werden.

16. November 1968: Gericht verzichtete auf Fritz Teufel

© Zeitner

Bei Verhandlungsbeginn drängten sich etwa 150 Freunde der Angeklagten auf dem Korridor vor dem Sitzungssaal 048. Sie hatten keinen Platz gefunden und mußten draußen bleiben. Ein starkes Polizeiaufgebot beobachtete die Jungen Demonstranten, die sich zunächst ruhig verhielten.

Die ersten Sprechchöre hörten sich recht zaghaft an; „Jeder Staatsanwalt in die Strafanstalt“ und „Eins, zwei, drei, laßt die Linda frei.“ Fritz Teufel, der zu spät gekommen war, zeigte keine Lust, den Wortführer zu spielen. Erst als die Forderung nach einem größeren Verhandlungssaal ohne Resonanz blieb, wurde es turbulenter.

Ein Sprecher der APO begründete dieses „legitime Recht“ der Zuhörer und forderte eine Stellungnahme des Landgerichtspräsidenten. Den Staatsanwalt, der zur Ruhe mahnte und mehrmals die Räumung des Flures androhte, nannten die Demonstranten einen „professionellen Aufwiegler“. Es fielen Zwischenrufe wie „Wir sind das Volk“, „Macht auf das Tor, die Kommune steht davor“.

Fritz Teufel schlug vor, eine „Kommission zu bilden, die das Justizgebäude nach einem größeren Saal durchsuchen soll“. Oberstaatsanwalt Dr. Ludwig Prandl dazu über Megaphon: „Wir haben keinen größeren Saal hier.“ Stimme aus der Menge: „Wir wollen nur zuhören und notfalls durch Zwischenrufe einen schlechten Ablauf des Prozesses verhindern.“

Schließlich ließ der Landgerichtspräsident als Hausherr das Gebäude räumen. Die meisten Demonstranten gingen freiwillig, eine Gruppe um Fritz Teufel, die ein „sit-in“ probierte, wurde von Polizisten über die Treppe ins Freie befördert. Nach der Mittagspause trug eine Delegation der Demonstranten dem Amtsgerichtspräsidenten folgende Forderungen vor: „Größerer Sitzungssaal für die Verhandlung, damit die Öffentlichkeit gewährleistet ist. Übertragung des Prozesses durch Lautsprecher. Anklageschriften für alle Interessenten.“ Die Wünsche wurden nicht erfüllt.

Fritz Teufel ärgerte sich, weil er „als präsentes Beweismittel“ nicht zu dem Prozeß zugelassen wurde. Er wetterte über den Einsatzleiter der Polizei und seine „Eigenmächtigkeit“ und drohte den Polizeifotografen, daß man ihnen die Apparate abnehmen und zerstören werde.

Bevor der Prozeß gegen die 22jährige Studentin Linda und den 23jährigen Studenten Alfred in dem überfüllten Sitzungssaal beginnen konnte, mußte der Gerichtsvorsitzende, Oberamtsrichter Dr. Rieken, zahlreiche Geduldsproben ablegen. Kleine Knallkörper, die durch die Türe geworfen wurden, Beifallklatschen und gelegentliche Mißfallsäußerungen nahm er mit Gelassenheit hin. Auch die konstante Anrede „Herr Rieken“ ließ er sich gefallen.

Am Nachmittag „platzte der Prozeß“ aber doch. Rechtsanwalt Vetter wollte unter anderem den Außenminister Brandt und den Nürnberger Polizeipräsidenten Dr. Herold als Zeugen haben. Die Art der Ablehnung seiner Anträge – das Gericht zog sich nicht zur Beratung zurück – veranlaßte ihn, das Gericht als befangen abzulehnen. Der Ablehnungsantrag wurde aber zurückgewiesen. Daraufhin legte der Anwalt die Verteidigung nieder.

Linda hatte es immer wieder versucht, das Gericht zu einer Diskussion über die Gedanken und Vorstellungen der außerparlamentarischen Opposition anzuregen. „Ich möchte Sie bitten, auch die Herren Schöffen, wenn Sie bestimmte Fragen haben, sie zu stellen“, hatte sie den drei Richtern gut zugeredet. Weil sie aber keinerlei Echo fand, stellte sie den Antrag, die beiden Schöffen, schon ältere Herren, medizinisch untersuchen zu lassen, ob sie nicht taubstumm seien. Der Antrag wurde abgelehnt.

Zu dem Vorwurf in der Anklage, daß sie an der Verbrennung einer SPD-Fahne teilgenommen und einen abgebrochenen Fahnenmast weggeschafft hätten, erklärten die beiden Studenten, daß sie nichts verbrannt und den von anderen abgebrochenen Fahnenmast nur deshalb unter den Arm genommen hätten, um ihn als Fundgegenstand bei der Polizei abzuliefern.

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