17. September 1970: "Bewaffneter Passagier an Bord!"

17.9.2020, 07:35 Uhr
17. September 1970:

© Bernd-Jürgen Fischer

Die Beamten der Nürnberger Flughafen-Sonderwache nehmen ihre Aufgabe sehr ernst und scheuen sich nicht, auch prominente Fluggäste unter die Lupe zu nehmen: Staatssekretärin Hildegard Hamm-Brücher mußte sich kürzlich der gleichen intensiven Kontrolle unterziehen wie ihr Amtskollege Philip Rosenthal. Ein prominenter Nürnberger Industrieller erboste sich, weil man ihn, den doch jeder kenne, in den Kreis verdächtiger Personen einreihe.

Wie sicher aber sind die Schutzvorkehrungen wirklich? Ein Mitglied unserer Redaktion wollte es genau wissen. Mit einer geladenen Pistole, Kaliber 7,65 mm, im Halfter unter der Achsel, startete er gestern vormittag zu einem Flug nach Frankfurt. Begleitet wurde er von einem Fotoreporter der „NN“, der den Test im Bild festhielt. Hier der Bericht:

17. September 1970:

© Bernd-Jürgen Fischer

Wir, der Fotograf und ich, buchten schon am Vortag für den Lufthansa-Flug LH 741. Hier waren schon die ersten Anzeichen für verschärfte Sicherheitsvorkehrungen zu erkennen: die Tickets wurden nur gegen Vorlage von Personalausweis oder Paß ausgehändigt. Außerdem der Hinweis: „Die Aufrufzeit für Ihren Flug wie bei allen Flügen wurde von 15 auf 30 Minuten ausgedehnt, wegen der Kontrollen.“

Pistole nicht entdeckt

Um 11.10 Uhr sollte die Maschine vom Typ Boeing 737 City-Jet starten. Wir fanden uns daher schon um 10.30 Uhr im Restaurant ein. Aber auch Fluggäste, die nur zehn Minuten vor dem Abflug kamen, hatten keine Schwierigkeiten bei der Abfertigung: Kontrolle des Flug-Tickets und des Reisepasses. Nur hin und wieder baten die zwei kontrollierenden Beamten bei Passagieren, einen Blick in das Handgepäck werfen zu dürfen. Mein „Ballermann“ unter der Achsel interessierte niemanden.

17. September 1970:

© Bernd-Jürgen Fischer

Um 11.50 Uhr standen wir im Frankfurter Flughafen. Der Eingang zum Inlandswarteraum war von fünf Stadtpolizisten besetzt, die ebenfalls von allen Passagieren Paß oder Personalausweis verlangten, Wir passierten die Kontrolle ohne weiteres, verließen den Warteraum wieder und kehrten Minuten später zurück. Meine Jacke war aufgeknöpft und leicht ausgestellt. Unter ihr lugte der Griff der Pistole heraus. Niemand nahm Anstoß daran. Nach der vierten Runde dachten wir: Jetzt haben es die Beamten endlich gemerkt. Sie nahmen den Fotografen und mich zur Seite.

Ich wollte schon meinen Waffenschein zücken und die Sache erklären, als sich die Ordnungshüter von mir abwandten und dem Fotografen widmeten. Sie wollten nicht meine Pistole konfiszieren, sondern den Fotoreporter darauf hinweisen: „Hier dürfen Sie nur mit Genehmigung fotografieren.“ Wir gaben auf und warteten auf den Start der Nürnberger Maschine, Flug LH 221. Mit 20 Minuten Verspätung hob um 13.50 Uhr der Vogel ab.

Fotograf verdächtigt

Nun wollten wir es genau wissen. Zwei Reihen vor mir saß – die Kamera im Anschlag – der Fotograf. Ich knöpfte ostentativ die Jacke auf und zeigte die Pistole in voller Größe. Stewardessen kamen, servierten Fruchtsaft und Lesestoff – aber niemand schien das nicht zu übersehende Schießeisen zu bemerken. Zu meinem Erstaunen machte aber nicht ich mich, sondern wieder einmal der Fotograf verdächtig, weil er pausenlos auf den Auslöser drückte.

Er wurde darauf hingewiesen, daß er die Passagiere nicht fotografieren dürfe. „Ich fotografiere nur meinen Kollegen dort“, entschuldigte er sich – und die Augen der charmanten Stewardeß richteten sich noch einmal auf mich und jetzt erstmals auf die Pistole. Ich nahm keine Notiz von den überraschten Blicken. Dann verschwand die Dame im Cockpit. Der Kapitän verständigte den Tower in Nürnberg: „Achtung, in unserer Maschine sitzt ein mit einer Pistole bewaffneter Fluggast.“

"Ohne Widerstand"

Nürnbergs Lufthansa-Chef verständigte aufgeregt die Beamten der Sonderwache: „Da ist ein Passagier mit Pistole in der Maschine. Sichern Sie den Mann sofort ab!“ Als die Maschine zur Landung ansetzte, formierte sich eine mehrköpfige Gruppe von Beamten, um „den bewaffneten Mann sofort abzusichern“.

Inzwischen hatte neben meinem Sitz eine Stewardeß Posten bezogen – für alle Fälle. Ich fragte sie: „Wollen Sie mir nicht meine Waffe abnehmen und dem Kapitän geben?“ Darauf die Stewardeß: „Nein. Wir leisten keinen Widerstand. Wenn Sie unbedingt wollen, fliegen wir weiter nach Moskau. Soviel Sprit haben wir noch.“

Keine strafbare Tat

Dann rollte die Maschine vor dem Flughafengebäude aus. Bis dahin wußte ich noch nicht, welche Vorkehrungen in Nürnberg getroffen waren. Beim Verlassen der Maschine wurde ich von fünf uniformierten Polizisten und einem weiteren Beamten in Zivil umringt. Man bat mich: „Kommen Sie bitte mit ins Wachzimmer!“ Nachdem man sich vergewissert hatte, daß ich behördlich zum Tragen meiner Waffe berechtigt bin, wurde ich wieder entlassen. Denn keine Vorschrift besagt bisher, daß Fluggäste ihre Waffen vor Antritt der Reise freiwillig abliefern müssen. Also lag kein strafbarer Tatbestand vor.

Verwandte Themen


0 Kommentare