1983: „Die Lorenzkirche, kein Bierkeller“

29.6.2013, 15:11 Uhr
1983: „Die Lorenzkirche, kein Bierkeller“

© Rudolf Contino/Archiv

Nur für geladene Gäste, für die Öffentlichkeit live im Fernsehen übertragen, wurde die Eröffnung der zentralen kulturhistorischen Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum „Martin Luther und die Reformation in Deutschland“ gefeiert. Als Festredner würdigten die höchsten Vertreter des Staates die Bedeutung Luthers für Geschichte und Gegenwart. Bundespräsident Karl Carstens, Bundeskanzler Helmut Kohl und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß sprachen in der Nürnberger Kirche vor Bischöfen beider Konfessionen.

Die Veranstaltung blieb ein weltliches Ereignis – auf Glockengeläut und Gebet wurde verzichtet – und die Redner nutzten die Gelegenheit auch dazu, politische Botschaften auszusenden. Die konservativen Politiker der CDU und CSU-Chef Strauß schrieben den teils in der Friedensbewegung aktiven Würdenträgern der evangelischen Kirche ein paar Worte ins Stammbuch.

Pflicht zum Waffendienst?

So erklärte Carstens, es sei die Pflicht eines Christen, auch Waffendienst als Soldat zu leisten, denn „für Luther stand fest, dass ein Land sich gegen einen bewaffneten Angriff verteidigen dürfe“. Bayerns Ministerpräsident Strauß berief sich angesichts „der gegenwärtigen geistigen Orientierungslosigkeit und des sich ausbreitenden politischen und religiösen Schwärmertums“ ebenfalls auf den Reformator und warnte vor einem „linksgewirkten politischen Klerikalismus, der das Evangelium als politische Handlungsanleitung missversteht“.

Über die Stimmung in der Kirche schrieben die NN: „Die Mienen der Nürnberger Geistlichen verfinsterten sich zusehends, denn gerade solche Worte hatten sie am Festtag für den Begründer ihrer Kirche nicht hören wollen.“

„Eine Frechheit!“

Das Gebot der Gastfreundschaft verhinderte deutlichere Missfallenskundgebungen, lediglich ein Sänger des Lorenzer Bachchores konnte sich den Ausruf „Eine Frechheit!“ während der Strauß-Rede trotz der sonst feierlichen Stille nicht verkneifen. Die massiven Ausführungen der Politiker, gerichtet gegen das Engagement der Kirche in der Friedensbewegung, sorgten nach dem Festakt für viele Stimmen der Empörung. Auch die NN-Leser gaben in etlichen veröffentlichten Zuschriften entsprechende Bewertungen ab und sahen die Kirche zur politischen Bühne umfunktioniert.

Leserbrief von Schönlein

Der damalige Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion und spätere Oberbürgermeister Peter Schönlein bedauerte in seinem Leserbrief, dass der bayerische Ministerpräsident einen solchen Missklang in eine ansonsten würdevolle Veranstaltung gebracht hatte und fragte schon aufgrund der aggressiven Tonlage, „ob er sich ganz bewusst war, in der Nürnberger Lorenzkirche und nicht in einem bayerischen Bierkeller zu sprechen“.

Nach dem Festakt im Gotteshaus konnte auch die Nürnberger Bevölkerung einen Blick auf ihr Staatsoberhaupt erhaschen. Bundespräsident Carstens schlenderte begleitet vom damaligen OB Andreas Urschlechter und seiner Gattin durch die Fußgängerzone zum Empfang im Germanischen Nationalmuseum, wo wiederum die Prominenz unter sich blieb.

Eine akademische Würdigung erfuhr Martin Luther dann Anfang Juli im „Nürnberger Gespräch 1983“. Drei Tage lang befassten sich Historiker, Theologen und Politiker mit dem Reformator. Dass hierbei Luthers Lehre von den „zwei Reichen“ im Mittelpunkt stand, war nach Meinung des Politologen Kurt Sontheimer dem konservativen bundespolitischen Trend geschuldet: „Der Staat will sich von der Kirche nichts in die Politik hineinsagen lassen.“

Kritiker schwieg

Zeitgleich hatte im Schauspielhaus eine Sonderproduktion zum Lutherjahr ihre Uraufführung. Kabarettist Helmut Ruge und Schauspieldirektor Hansjörg Utzerath hatten sich eine Luther-Revue ausgedacht, eine „Mischung aus Fernseh-Quiz und Aktivitäten-Show“. In einem spielerischen Wettstreit sollte auf der Bühne ein Bürger für den Nürnberger Ehren- und Kontrollposten gegen Korruption und Filz, der „Stadtluther“ gefunden werden. Die Produktion geriet etwas zu lang und die eigentliche Pointe erfuhr man nur im Theater, denn NN-Kritiker Hans Bertram Bock schwieg beharrlich, da sonst „die Spannung wohl zur Pause verbraucht“ gewesen wäre.

Ein Motto der Revue, „Lila-Luther, alles ist in Butter...“ galt am selben Wochenende auch an anderer Stelle in der Stadt. Als „volkstümliche Ergänzung“ zum „Nürnberger Gespräch“ veranstalteten die evangelischen Gemeinden St. Lorenz und St. Sebald Straßenfeste und Gottesdienste unter dem Thema „Luther und dem Volk aufs Maul geschaut“.

Zur geistigen Erbauung gab es kabarettistische Nachrichten und eine „Lutherie“, bei der es um die beliebtesten und markantesten Aussprüche des Reformators ging. Dazu servierte die Lorenzer Gemeinde Luthers Lieblingsspeisen, Heringe, Erbseneintopf und Einbecker Bier, um „Leib und Seele zusammenzuhalten“.



Alle Folgen der Reihe „Ausgegraben“ können Sie auch im Internet unter www.sonntagsblitz.de nachlesen.

 

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