20. April 1971: Kochplatten ersetzten defekte Heizung

20.4.2021, 07:00 Uhr
20. April 1971: Kochplatten ersetzten defekte Heizung

© Contino

„Wenn essen – pitsch, in Suppe; wenn schlafen – pitsch, in Auge“, radebrecht der Türke und schaut zur Decke der Gemeinschaftsunterkunft. Dort hängen Plastiktüten, die durch tropfendes Wasser und herabblätternden Putz auffangen sollen.

Er ist Gastarbeiter. Einer von den Tausenden, die in den 66 Gemeinschaftsunterkünften Nürnbergs auf engem Raum untergebracht sind. Und so wie es ihm im Lager an der Vogelweiherstraße ergeht, so leben bei uns viele andere Arbeiter aus dem Ausland.

Rechte hat er kaum

Sie sind Ausländer mit der Erlaubnis, vorübergehend in Deutschland arbeiten zu dürfen. Wohl, weil diese Definition zu lang wäre, erfand man den Begriff „Gastarbeiter“. Und der, so scheint es oft, ist wirklich frei erfunden: der Arbeiter wird weder als Gast aufgenommen noch als solcher behandelt.

Rechte hat er kaum. Beispiel: eine Gruppe von Ausländern darf nicht per Flugblatt auf mangelnde Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz oder etwa auf zu niedrige Akkordsätze hinweisen. Sie würden sonst laut Ausländergesetz (Paragraph 6, Absatz 2) in ihr Heimatland abgeschoben.

Lange Zeit rührte das fast niemand, und die Gastarbeiter trugen ihr Los, ohne zu klagen. Doch die Ausländerbeschäftigung wird immer mehr zu einem drängenden Problem der Gegenwart, mit dem sich zunehmend Regierungen, Stadtverwaltungen und Behörden beschäftigen.

In Nürnberg hat der Stadtrat einen Gastarbeiterausschuß gebildet, der auf die dringendsten Fragen wie Schulunterricht und Unterbringung Antworten sucht. Und auch die Gastarbeiter in der Stadt selbst sind aktiv geworden: sie haben unter den verschiedenen Ausländergruppen Fragebogen verteilt, die einen umfassenden Überblick darüber geben sollen, wie sie in Nürnberg leben. Daß dabei der Aspekt der Unterbringung im Vordergrund steht, ist selbstverständlich.

Zustände unzumutbar

Zweierlei soll damit erreicht werden: man will nicht nur die Öffentlichkeit auf die Probleme aufmerksam machen, man will auch in den eigenen Gastarbeiterkreisen das Selbstbewußtsein stärken. So ist auch der Plan zu verstehen, im Mai erstmals eine Gastarbeiter-Kundgebung zu veranstalten.

Solche Aktivitäten scheinen notwendig angesichts der Berichte, die aus verschiedenen Gastarbeiter-Lagern gesammelt wurden. Einer kommt aus dem MAN-Lager an der Vogelweiherstraße, in dem rund 1.000 Ausländer leben. Es gibt neue Häuser, in denen für je acht Bewohner sogar eine Dusche zur Verfügung steht, es gibt aber auch einige alte, deren Zustand selbst der Vertreter des Gesundheitsamtes als „unzumutbar“ bezeichnete.

Da sieht es dann so aus: unter manchen Fenstern wuchert der Schimmelpilz, Wände sind von nasser Fäule schwarz und grün gefärbt, eines der Schlafzimmerfenster – vier Männer schlafen in dem kaum mehr als 10 Quadratmeter großen Raum – läßt sich nicht öffnen, weil das Schloß aus dem morschen, schwammigen Holz herausgebrochen ist, und aus dem Ausguß tropft es beständig in eine Wanne. Seit drei Monaten sei das Abflußrohr undicht (was weder schön aussieht noch gut riecht), aber die wiederholten Bitten um Reparatur seien bislang vergeblich gewesen, sagen die Bewohner.

Den ganzen Winter über, so wird aus manchen der Steinbaracken berichtet, sei der Ölofen defekt gewesen. Um in den Räumen überhaupt halbwegs erträgliche Temperaturen zu schaffen, habe man die drei elektrischen Kochplatten Tag und Nacht eingeschaltet gelassen. Und da man nicht mehr habe lüften können, sei es in den Räumen unerträglich geworden.

Und ein Problem scheint die Türken in diesen Baracken besonders zu beschäftigen: die Duschen seien fast 100 Meter weit entfernt und meist kalt. Ihr mohammedanischer Glaube schreibe ihnen aber vor, morgens, mittags und abends zu den Gebeten sauber zu sein. In diesem Lager ließe sich das kaum machen: „Wir können morgens nicht als Mohammedaner zur Arbeit gehen“, ist einer der Türken bekümmert.

Das alles stimmt nicht, behauptet die Lagerleitung. Klagen habe man nicht gehört, man wisse aber von einer Türkengruppe, die als vermutlich radikales Element Stunk machen wolle. Im übrigen: wo Schweine wohnten, da sehe es eben auch so aus.

Die Direktion war diplomatischer. Die MAN, so hieß es, wolle an den Gastarbeitern nicht verdienen, im Gegenteil: Sie zahle 200.000 Mark im Jahr drauf. Allein die Renovierung von zwei Türken-Baracken koste 13.000 Mark. Ein Malertrupp sei ständig im Lager eingesetzt und auch Reparaturen würden sofort vorgenommen. Hier wie anderswo sei es eben so, daß ein sauberes Heim nur dort angetroffen werde, wo es von seinen Bewohnern auch gepflegt wird. Im übrigen sei bereits eine der genannten Baracken neu getüncht worden.

Allerdings: die Direktion hatte vorher von dem Besuch der NN im Lager erfahren.

„Der größte Wert der Ausländerbeschäftigung liegt darin, daß wir hiermit über ein mobiles Arbeitskräfte-Potential verfügen. Es wäre gefährlich, diese Mobilität durch eine Ansiedlungspolitik größeren Stils einzuschränken.“

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