20. August 1969: Masche mit Gewinn

20.8.2019, 07:00 Uhr
20. August 1969: Masche mit Gewinn

© Ulrich

Auf dem expandierenden Markt für Teilzeitarbeitskräfte werden menschliche Fähigkeiten aller Art, Kenntnisse im Maschinenschreiben, Buchhaltung, aber nicht zuletzt männliche und weibliche Schönheit gegen Gebühren ausgeliehen.

Die Verleihfirmen "reiten" auf einem interpretationsfähigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Jahr 1967 und einem weiteren Urteil des Bundesgerichtshofes Ende 1968. "Diese Urteile waren für uns negativ", beklagte die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. In der Tat schlugen diese Urteile erstmals eine Bresche in das Vermittlungsmonopol der staatlichen Arbeitsvermittlung.

Die Konfusion bei den Arbeitsämtern ist komplett. Verwaltungsrat Schwab vom Arbeitsamt Nürnberg: "Wir müssen bei der derzeitigen Rechtslage Verleihfirmen tolerieren." Die Bundesanstalt bekundete dagegen die Entschlossenheit, das Vermittlungsmonopol zu verteidigen. Referent für die Arbeitsvermittlung, Verwaltungsdirektor Beie: "Das letzte Wort wird das Bundessozialgericht noch in diesem Spätherbst sprechen."

Langfristige Verleihung unzulässig

Diese Entscheidung wurde notwendig, nachdem das Landessozialgericht in Hamburg in einem Verfahren, das von der Bundesanstalt gegen die Verleihfirma "Adia Interim" auf Unterlassung ihres Gewerbes angestrengt wurde, entschieden hatte, daß eine Überlassung "eigener" Arbeitskräfte an Dritte im rechtlichen Sinne keine Arbeitsvermittlung darstelle und deshalb das staatliche Vermittlungsmonopol nicht tangiert werde.

Mehr Kummer bereitet den staatlichen Vermittlern ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das zwar eine längerfristige Verleihung von Arbeitskräften als unzulässig erklärte – in dem Rechtsstreit ging es um die Vermietung von Bauarbeiterkolonnen –, in der Begründung jedoch ausdrücklich nicht ausschloß, daß eine Verleihung für kurze Zeiträume durchaus zulässig sein könnte.

Die Bundesanstalt ist jedoch nicht gewillt, zu kapitulieren und das staatliche Monopol "wie einen Emmentaler Käse" durchlöchern zu lassen. "Der augenblickliche Zustand ist unhaltbar", diagnostizierte Referent Beie. "Zunehmend entsteht ein ‚grauer‛ Arbeitsmarkt, der von der staatlichen Arbeitsvermittlung nicht mehr beeinflußt werden kann."

Der Gesetzgeber habe der Bundesanstalt für Arbeit den Auftrag erteilt, den Arbeitsmarkt im wohlverstandenen Interesse des Arbeitnehmers zu beeinflussen. "Diese Aufgabe kann die Bundesanstalt bei der gegenwärtigen Rechtslage nicht mehr erfüllen." Die Bundesanstalt erwarte deshalb vom neuen Bundestag eine gesetzliche Neuinterpretation des Begriffes "Arbeitsvermittlung".

In der Bundesanstalt verschließt man sich nicht der Einsicht, daß in der Wirtschaft für Arbeitskräfte auf Zeit, um personelle Engpässe zu überwinden, ein Bedürfnis vorhanden sei. Vorrangig vor wirtschaftlichen Interessen sei jedoch der Schutz des Arbeitnehmers.

Teppiche in den Arbeitsämtern

Die Möglichkeit einer Ausbeutung ist nach Meinung der staatlichen Arbeitsvermittler schon allein deshalb gegeben, weil durch die Anmietung von Arbeitskräften auf Zeit das Risiko von der Wirtschaft auf den Arbeitnehmer abgeschoben werde.

Unabhängig von den gerichtlichen Entscheidungen und gesetzgeberischen Maßnahmen will die staatliche Arbeitsvermittlung "marktkonform" mit den privaten Verleihern konkurrieren. In den Arbeitsämtern sollen die Warteräume für Arbeitskräfte, die sich auf Zeit vermitteln lassen wollen, mit Teppichen ausgelegt und mit Polstermöbeln eingerichtet werden. Eine Tasse Kaffee soll zukünftig zum normalen Service der staatlichen Arbeitsvermittlung gehören.

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