Trifft für U-Haft zu

20. August 1971: Im Kittchen ist kein Zimmer frei

20.8.2021, 07:00 Uhr
20. August 1971: Im Kittchen ist kein Zimmer frei

© Friedl Ulrich

Oberregierungsdirektor Elmar Groß, Leiter der Justizvollzugsanstalten Nürnberg-Fürth: "Wir müssen auf die umliegenden kleineren Anstalten ausweichen, vor allem auf Eichstätt, Erlangen und Bamberg." Hauptgrund der Platzmisere: die U-Haftanstalt wird umgebaut, gleichzeitig entsteht ein Neubau, dessen Richtfest im Spätherbst letzten Jahres gefeiert wurde. So stehen jetzt kaum 200 Plätze zur Verfügung, während es früher 258 waren. Nach Beendigung der Arbeiten werden es 380 Einzelzellen sein. Aber erst im Frühjahr nächsten Jahres soll der Neubau bezugsfertig sein, und auch dann wird es noch einige Zeit dauern, bis er vollständig belegt werden kann. Es gibt einen weiteren Grund für die Enge in der U-Haftanstalt: seit im Strafrechtsreformgesetz generell festgelegt worden ist, daß die Untersuchungshaft auf eine später zu verhängende Freiheitsstrafe anzurechnen ist, neigen immer mehr Häftlinge dazu, Rechtsmittel einzulegen.

Denn die Untersuchungshaft ist wesentlich angenehmer als die Strafhaft, und die braucht erst angetreten zu werden, wenn die Strafe rechtskräftig geworden ist. Direktor Groß: "Ich kann die Möglichkeit nicht ausschließen, daß viele nur aus diesem Grund in die Revision oder Berufung gehen, in etlichen Fällen halte ich es sogar für wahrscheinlich." Früher konnte ein Häftling, der von einer Strafkammer verurteilt worden war und in die Revision ging, nicht unbedingt damit rechnen, daß die U-Haft, die er bis zur zweiten Verhandlung absaß, auf die später verhängte Strafe angerechnet wurde. Wurde das Ersturteil bestätigt, dann verfügte das Gericht im Regelfalle, daß er die ihm zudiktierte Freiheitsstrafe in Strafhaft absitzen mußte; lediglich die U-Haft bis zur Erstverhandlung wurde ihm angerechnet.

Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele in Nürnberg Rechtsmittel einlegen, nur um sich möglichst lange der Annehmlichkeiten der U-Haft zu erfreuen. Jeder behauptet selbstverständlich, er fühle sich zu hart verurteilt. So zeichnet sich auch keine Möglichkeit ab, wie diese Entwicklung eingedämmt werden könnte. Direktor Groß: "Ich kann es niemandem verübeln, wenn er von seinen Rechten Gebrauch macht. Und seien wir froh, daß wir es tun können!" Aber diese Rechte könnten beispielsweise bewirken, daß ein zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilter Einbrecher mit der endgültigen Rechtskraft des Urteils auf freien Fuß gesetzt werden muß, weil er inzwischen zwei Jahre in U-Haft war und alle Annehmlichkeiten dieser "Verwahrung" auskosten konnte. U-Häftlinge brauchen beispielsweise keine Anstaltskleidung zu tragen, und nicht zu arbeiten und sie dürfen für erheblich mehr Geld persönliche Dinge einkaufen.

Ab 1, Oktober 1973 haben sie einen gesetzlichen Anspruch auf Einzelunterbringung. In den Strafvollzugsanstalten Nürnberg-Fürth haben sich die Verhältnisse verschoben. Die Gesamtbelegungsfähigkeit – so der amtliche Ausdruck – beläuft sich auf 868. Gegenwärtig befinden sich darin 650 bis 700 Häftlinge, was bedeutet, daß die Kapazität nicht voll ausgeschöpft ist. Aber die U-Haftanstalt ist, zur Zeit jedenfalls, nicht in der Lage, alle U-Häftlinge aufzunehmen. Dagegen sind die Jugendarrestanstalt (64) und die Frauenhaftanstalt (41), in der Strafen bis zu drei Monaten verbüßt werden, stark "unterbesetzt". Wird die U-Haftanstalt ausreichend sein, wenn der Neubau fertiggestellt und der Umbau vollendet sind? Direktor Groß zeigt vorsichtigen Optimismus: "Ich hoffe, daß bis nächstes Jahr die Menschheit nicht so schlecht geworden ist, daß auch die neue U-Haftanstalt nicht mehr ausreicht."

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