Reichsparteitagsgelände

20 Jahre Dokuzentrum: Die Speerspitze der Erinnerung

4.11.2021, 15:01 Uhr
Der Stachel im Fleisch der Nazi-Architektur: Das Dokuzentrum.

© Isabel Lauer Der Stachel im Fleisch der Nazi-Architektur: Das Dokuzentrum.

Am 4. November 2001 wurde das Dokumentationszentrum in der Kongresshalle eröffnet. Schon damals hat die von Architekt Günther Domenig entworfene Formensprache für Aufsehen gesorgt. 20 Jahre später steht fest, dass das Durchbohren des unvollendeten Nazi-Bauwerks auch im übertragenen Sinne gelungen ist. Auch das jahrzehntelange Schweigen der Nachkriegszeit konnte für alle erkennbar durchbrochen werden.

Das Dokuzentrums hat sich als Speerspitze der Erinnerungskultur längst über die Grenzen der Stadt einen Namen gemacht. Obwohl derzeit als Dauerbaustelle kaum funktionsfähig, muss das Nürnberger Haus keinen Vergleich scheuen - weder mit München noch mit dem Obersalzberg, um nur die beiden nächstgelegenen Erinnerungsstätten an Täterorte zu bemühen.

Nürnberg hat etwas geschafft, wovon andere nach wie vor träumen: Als Publikumsmagnet mit teilweise über 300.000 Besuchern pro Jahr hat die Einrichtung die Erwartungen bei weitem übertroffen. Zu Beginn galten 100.000 Gäste als das maximal Erreichbare. Als Ort der Reflexion über die Inszenierung der Nazis hat das Haus Standards gesetzt. Das lag sicherlich auch an den Akteuren der ersten Phase. Gründungsleiter Hans-Christian Täubrich ließ sich von seinen Vorgesetzten in der Stadt selten beirren, er ging eine klaren und erfolgreichen Weg, ihm zur Seite standen Freigeister und Experten wie der wissenschaftliche Mitarbeiter Eckard Dietzfelbinger.

Es war als auch dem Wirken dieser Persönlichkeiten zu verdanken, dass das Dokuzentrum sich rasch einen Namen machte. Zu erwarten war dieser Erfolg nicht unbedingt. Zum einen zierte sich die (Kommunal-)Politik bis zuletzt, als es in den 90er Jahren immer offenkundiger geworden war, dass die ehemalige Stadt der Reichsparteitage einen angemessenen Ort der Erinnerung benötigt. Zuvor war es dem Engagement einer kleineren, aber umso aktiveren Gruppe zu verdanken, dass im Inneren der Zeppelintribüne mit der Ausstellung "Faszination und Gewalt" ein Anfang gemacht werden konnte.

Dass dieses Dokuzentrum überhaupt ernsthaft angepackt wurde, ist Bruno Schnell zu verdanken. Der 2018 verstorbene Herausgeber der Nürnberger Nachrichten legte mit einer großzügigen Spende den ideellen und finanziellen Grundstein für das Vorhaben, der Stadtratsbeschluss von 1994 war die logische Folge dieser Anschubfinanzierung.

Bauweise der Nazis geknackt

Heute möchte kein Akteur der Stadt das Dokuzentrum missen. Dazu trägt die Architektur entscheidend bei. Die Idee von Günther Domenig, einer der beiden Kopfbauten der Kongresshalle zu durchbohren war genial. Einerseits wird dadurch verdeutlicht, dass die Monumentalbauweise der Nazis zu knacken ist, andererseits ergeben sich bis heute aufschlussreiche Sichtachsen. Am Ende der Ausstellung blicken die Besucherinnen und Besucher in den riesigen Innenhof.

Ein Blick ins Nichts, der die Sinnlosigkeit des Gebäudes eindrucksvoll betont. Übrigens soll das Opernhaus-Interim, das in diesem Hof entstehen könnte, die Sichtachse nicht allzu sehr beinträchtigen, Dafür machen sich - vollkommen zurecht - unter anderem die Experten des Dokuzentrums stark.

Dem Engagement dieser Mitarbeitenden ist es schließlich zu verdanken, dass neben der Dauerausstellung immer wieder in Form von Sonderschauen bemerkenswerte Aspekte des Täterortes Nürnberg in den Fokus geraten sind. Die Ausstellung "Das Gleis" setzte etwa 2010 Akzente, 2017 gelang mit der Präsentation über Albert Speer, den Hitler-Architekten und Gestalter des Nürnberger Parteitagsgeländes, ein weiterer Meilenstein.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die belegen, wozu ein Mini-Team fähig ist. Denn Stadt hat sich zwar stets im Glanze der Ausstellungserfolge und des Publikumszuspruchs gesonnt, zu einer würdigen personellen Ausstattung konnte sich die Kommune unter Verweis auf leere Kassen nie durchringen. Das gilt bis heute.

Dem Dokuzenztrum ist deshalb zu wünschen, dass nach der Wiedereröffnung die neue Dauerausstellung an die Qualität der Eröffnungspräsentation anschließen kann und den Bogen tatsächlich über das Jahr 1945 bis in die Gegenwart weiterspannt. An Themen mangelt es nicht: Von den auf dem Areal eingesetzten Zwangsarbeiter bis zu Flüchtlingsbewegungen der Gegenwart können Bezüge hergestellt werden. Schließlich, das ist der zweite Wunsch, sollte zum 2026 anstehenden 25jährigen Jahrestag genügend Personal vorhanden sein.

Denn der Erinnerungsort Nürnberg bleibt nur dann relevant, wenn die Besucherströme adäquat betreut werden können. Und die Steine auf dem Gelände sind nach dem Ende der Zeitzeugen-Ära erklärungsbedürftiger denn je. Dies gilt umso mehr, wenn die nahegelegene Zeppelintribüne samt dem dazugehörigen Zeppelinfeld in wenigen Jahren saniert sein wird.

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