20. Januar 1970: Die Bundesbahn und ihre Werbung

20.1.2020, 07:49 Uhr
20. Januar 1970: Die Bundesbahn und ihre Werbung

© Ulrich

Dann fahren wir also, beschließt der solchermaßen umgarnte Autofahrer mit der Bahn. Um an frühen Morgen in Frankfurt zu sein, nimmt er den Wien-Ostende-Expreß, fahrplanmäßige Abfahrt 3.20 Uhr Nürnberg Hauptbahnhof. Ein Blick auf die Verspätungstafel: kein Eintrag. Man läßt ihn an der Sperre anstandslos passieren. Bei 10 Grad Kälte wartet er auf dem Bahnsteig. Es wird 3.20 Uhr – kein Expreß. Ein Bahnbeamter schlendert vorbei. Höfliche Frage, höfliche Antwort: "Wissen Sie denn nicht, daß der Zug 100 Minuten Verspätung hat?" Nein, der Mann weiß es nicht. Murrend geht er zurück in die wärmende Bahnhofshalle.

Über den Lautsprecher hört er: "Auf Gleis drei lauft der verspätete Zug aus München zur Weiterfahrt nach Würzburg-Hannover-Hamburg ein." "Aha", denkt sich unser Mann, "da fahre ich wenigstens bis Würzburg mit". Inzwischen ist es 3.30 Uhr geworden (planmäßige Abfahrt 1.00 Uhr). Er steigt auf Verdacht ein. Ob in Würzburg ein Anschluß nach Frankfurt besteht, läßt sich in Nürnberg zu dieser Stunde nicht ermitteln.

Eine Stunde später in Würzburg: "Wann fährt der nächste Zug nach Frankfurt?" Antwort des diensthabenden Beamten auf Bahneteig 2: "Da haben sie Pech gehabt." Der Fahrgast entdeckt auf dem Bahnsteig 3 jedoch einen Zug, der eindeutig in Richtung Frankfurt ausgeschildert ist. Seine Frage: "Kann ich da nicht mitfahren?" Antwort: "Ja freilich, den habe ich ganz vergessen, wenn Sie sich beeilen, können Sie. Das ist nämlich der verspätete D-Zug München-Ansbach-Frankfurt." Der Reisende schafft es mit Mühe und Not, kommt tatsächlich mit den beiden verspäteten Zügen rechtzeitig in Frankfurt an.

Kein Grund zur Klage also, könnte man meinen. Hat doch alles geklappt. Freilich: wie zur Zeit der Kohlezüge. Wenn es am Nürnberger Hauptbahnhof schon eine fernbediente Anzeigetafel für Verspätungen gibt — warum wird sie dann nachts nicht benützt? Warum wird der Reisende in den April geschickt? Warum weiß der Beamte in Würzburg nicht, daß am Nachbarbahnsteig ein Zug nach Frankfurt steht? Warum muß der Fahrgast seinen Anschluß suchen wie ein Pfadfinder?

Werbung ist so wirksam wie ihr Wahrheitsgehalt. Die Fluggesellschaften, wohl wissend um die Achillesferse ihrer Wetterabhängigkeit, haben bei den Inlandsflügen noch nie Reklame mit ihrem Tempo gemacht. Sie wissen, daß eine Verbindung wegen Nebels ausfallen kann, daß dem Fluggast stundenlange Wartezeiten drohen können.

Natürlich ist auch die Bahn nicht gegen Verspätungen gefeit. Das weiß jeder. Aber ihr Service könnte wenigstens bis zur Verständigung ihrer Gäste reichen. Oder aber sie ergänzt ihren Slogan "Mit der Bahn wären Sie schon da" mit dem Zusatz: "Aber nachts schlafen auch wir."

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