200. Geburtstag von Kaspar Hauser: Stadt öffnet das Archiv

11.9.2012, 16:27 Uhr
Diese Szene aus dem Singspiel "Kaspar Hauser oder Unter Menschen" des Nürnberger "Gewerkschaftschors Auftakt" symbolisiert die Einsamkeit des Findlings, der 1828 auf dem Nürnberger Unschlittplatz auftauchte.

© Chor Auftakt Diese Szene aus dem Singspiel "Kaspar Hauser oder Unter Menschen" des Nürnberger "Gewerkschaftschors Auftakt" symbolisiert die Einsamkeit des Findlings, der 1828 auf dem Nürnberger Unschlittplatz auftauchte.

Die Geschichte von Kaspar Hauser, der völlig isoliert in einem Verlies aufwuchs, fasziniert die Menschen bis heute. So mancher hält ihn für den badischen Erbprinzen, der aus dem Weg geschafft wurde, um einer Nebenlinie zur Macht zu verhelfen. Wäre Hauser tatsächlich dieser legitime Dynastie-Nachfolger, würde sich sein Geburtstag am 29. September zum 200. Mal jähren.

Einem - wahrscheinlich gefälschten - Brief zufolge, den das Findelkind bei seinem Auftauchen bei sich trug, wurde Hauser allerdings bereits am 30. April des Jahres 1812 geboren. In welchem Monat die Geburt auch immer war - das Jubiläumsjahr ist für das Stadtarchiv Nürnberg der Grund, seinen Fundus zu öffnen und Originalbriefe, Stiche, Lithographien und andere Archivalien in einer kleinen Ausstellung zu präsentieren.

Auf historischen Fotos und in einem Stadtplan werden darin unter anderem die Wohnorte gezeigt, an denen Hauser nach seinem Erscheinen am Pfingstmontag 1828 unterkam - von einer Zelle im Turm der Nürnberger Burg bis zum herrschaftlichen Anwesen seines Vormunds Gottlieb Freiherr von Tucher. «Der Typ taucht 16-jährig auf dem Unschlittplatz auf, wird von zwei Schustergesellen angetroffen, macht einen ziemlich besoffenen Eindruck und wird deshalb der Polizei übergeben», berichtet Archivdirektor Michael Diefenbacher von der ersten Begegnung Hausers mit anderen Menschen als seinem Kerkermeister.

Dem Sonderling schlägt neben romantisch verklärter Begeisterung auch eine gehörige Portion Misstrauen entgegen - schon zu Lebzeiten verdächtigen in einige, nur ein Aufschneider und Blender zu sein, der Aufmerksamkeit erheischen wolle. Doch von Tucher und später der englische Graf Stanhope fördern den mysteriösen Jüngling, lehren ihn Sprechen, Lesen und Schreiben und führen ihn in die Gesellschaft ein.

Im Dezember 1831 siedelt Hauser ins rund 50 Kilometer entfernte Ansbach über und tritt eine Stelle als Gerichtsschreiber an. Für den Posten scheint er prädestiniert: In der Ausstellung sind drei persönliche Briefe Hausers zu sehen, in denen seine Schrift extrem gleichmäßig, seine Wortwahl ausgesucht ist.

In gedrechselten Sätzen bedankt er sich etwa bei der Frau des Regierungspräsidenten: «Sie haben mir durch das schöne, zierliche, mir so teure Geschenk, welches Sie selbst verfertigten (...) einen so großen Beweis Ihres hohen Wohlwollens gegeben, und mir eine so große Freude gemacht, daß Ich nicht imstande bin, diese meine Freude durch Worte auszudrücken...»

Diefenbacher fällt an diesem und anderen Dokumenten, die bis zum 10. Oktober im Stadtarchiv zu sehen sind, vor allem eines auf: «Er hat eine sehr genormte Schrift. Das spricht dafür, dass er das Schreiben erst in späteren Jahren gelernt hat, weil sich keine individuelle Handschrift entwickeln konnte.»

Doch Hauser konnte seiner Arbeit als Schreiber gerade einmal zwei Jahre lang nachgehen: Im Dezember 1833 stirbt er - wenige Tage nach einem Attentat im Ansbacher Hofgarten. Diefenbacher sieht Parallelen zu einem ersten Attentat 1829 in Nürnberg: «Auch da gibt es Leute, die vermuten, dass es Ergebnis einer Selbstverletzung ist. Denn der Attentäter wird nie gefunden, und die Umstände sind sehr nebulös.»

Selbstverstümmelung, um das abflauende Interesse an der eigenen Person wieder anzufachen? Auf jeden Fall nährten die Verletzungen und der gewaltsame Tod die Spekulationen, die sich um das Findelkind rankten. Als Gottesbote wurde er gehandelt, der Anthroposoph Rudolf Steiner sah in ihm gar den letzten Überlebenden des untergegangenen Inselreiches Atlantis. «Es gibt da wirklich die absurdesten Ideen», berichtet Kuratorin Eva Fries - sie leben teils bis heute fort.

«Das Interessante ist, dass Kaspar Hauser so eine wunderbare Projektionsfläche für Fantasien, Ideen und Vorstellungen anderer Leute ist. Er war wie ein leerer Spiegel», sagt Fries. «Jeder hat herausgelesen, was er herauslesen wollte», bestätigt Diefenbacher.

1 Kommentar