21. Februar 1970: Kindergarten für Studentenbabys

21.2.2020, 07:00 Uhr
21. Februar 1970: Kindergarten für Studentenbabys

© Contino

Auf dem Weg zum „Trichter“, dem Aufenthaltsraum im Universitätsgebäude, traut man seinen Ohren nicht: Kindergeplapper und Babygeschrei dringt aus dem ehemaligen Geräte- und Versuchsraurn des Instituts für Wirtschafts- und Sozialpsychologie. An der Tür hängen die Schilder „Haxn abkrazn“ und „Aufenthaltsraum für Mutter und Kind“.

Auf die Initiative der Studentenvertretung hin stellte ein Professor das Zimmer vorläufig zur Verfügung, Die Eltern sägten Tischbeine ab, brachten eine Wandtafel an, bastelten aus gespendeten Resten einen Fleckerlteppich und stellten einen Kühlschrank auf. Studienkollegen stifteten und organisierten bei den Ausstellern der Spielwarenmesse Bauklötze, Stofftiere, Malkreiden und vieles mehr, was ein Kinderherz höher schlagen läßt.

Mit viel Improvisation und großem Optimismus wurde der „Kindergarten“ eröffnet. Zwei Frauen von Studenten, eine mit vierjähriger Kindergartenerfahrung, betreuen die Buben und Mädchen. Die Kinder im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren spielen, essen und toben seitdem auf blauen und roten Pappmöbeln. Die Eltern schauen zwischen Vorlesungen, Übungen und Seminaren schnell einen Sprung bei ihren Sprößlingen vorbei und gehen dann in die Kantine, in die Bibliothek oder wieder in den Hörsaal. Sie sind froh, ihre Söhne und Töchter in guter Obhut zu wissen.

Doch kaum ist das dringendste Problem, die Beaufsichtigung der Kinder, gelöst, gibt es schon wieder Schwierigkeiten. Weitere kleine Anwärter sind gemeldet. Dann wird der Raum, der jetzt schon sehr eng ist, zu klein. Kaum eingezogen, sind die Studenten schon wieder auf Zimmersuche, denn bis spätestens Ende März müssen sie wieder ausziehen. Die finanzielle Seite ist, solange die Kräfte ehrenamtlich tätig sind, geregelt: 600 DM wurden aus der VDS-Kasse gezahlt.

Einmal in der Woche ist eine Diskussion mit den Eltern angesetzt: organisatorische und pädagogische Fragen und der Beschäftigungsplan für die nächsten Tage werden erörtert. Später sollen sich auch Soziologen an dem Gespräch beteiligen und helfen, das endgültige Erziehungskonzept auszuarbeiten, Die Initiatoren schwanken noch zwischen autoritären und antiautoritären Methoden und suchen nach dem goldenen Mittelweg: ihnen schwebt eine Art Großfamilie vor. Der Ton ist familiär, die Erzieherin verständnisvoll, die Kinder verwöhnen das jüngste Studentenkind – ein sechs Monate altes Baby.

Verwandte Themen


Keine Kommentare