21. Oktober 1966: Große Premiere im „Karussell“

21.10.2016, 07:00 Uhr
21. Oktober 1966: Große Premiere im „Karussell“

© Kammler

Die Premiere des neuen Einbahnrings um die südliche Altstadt war fast reibungslos über die Bühne gegangen. Die meisten Autofahrer nahmen ohne viel Federlesen die Route an, die – ausgehend von der Lorenzkirche – über die Karolinen- und Ludwigstraße nach Westen, in der umgekehrten Richtung über den Jakobsplatz und die Jakobstraße, den Kornmarkt und den Hallplatz bis zum beiderseits befahrbaren Schlußstück Königstraße führt.

21. Oktober 1966: Große Premiere im „Karussell“

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Mittendrin aber herrscht Ruhe. Die fast autofreie Breite Gasse, die Südseite der Karolinenstraße und die Pfannenschmiedsgasse lassen ahnen, wie reizvoll das Reich des „König Fußgängers“ sein könnte, wäre es erst einmal mit hübschen Bodenplatten, Vitrinen und Blumenschalen verziert.

Einige Minuten nach acht Uhr war gegenüber dem Polizeipräsidium in der Ludwigstraße für den vom Plärrer stadteinwärts rollenden Verkehr zuerst dichtgemacht worden. Schlag auf Schlag erfolgte die Umstellung in den betroffenen Straßenzügen nach einem, in den Amtsstuben minuziös ausgeheckten Generalstabsplan, so daß Karl Huber, der Leiter der Verkehrsaufsicht beim Tiefbauamt, nach wenigen Stunden sagen konnte: „Wir sind zufrieden. Die Kolonnen haben prima gearbeitet.“

Nicht ohne Hindernisse

Freilich ganz ohne Hindernisse ging die Operation nicht ab. Das Elektronengehirn im Polizeipräsidium, an das die sechs neuen Signalanlagen angeschlossen sind, entpuppte sich nicht wie erwartet als wahres Rechengenie, sondern überraschte mit Fehlern, weshalb die Ampeln an der Färberstraße/Jakobsstraße und Färberstraße/Nadlersgasse/Kohlengasse nicht im gewünschten Rhythmus liefen. Die Polizei mußte nochmals mit dem Einpassen beginnen.

21. Oktober 1966: Große Premiere im „Karussell“

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Außerdem gab es noch manche – und keinesfalls nur auswärtige – Autofahrer, die mit der neuen Situation nicht auf Anhieb fertig wurden. Obwohl über das neue System gerade in den letzten Tagen viel geredet und geschrieben worden ist, fuhren sie noch in verbotenen Richtungen, so daß es einer winkenden Polizistenhand bedurfte, um sie auf den rechten Pfad zu weisen. Noch größer ist allerdings die Zahl der Fußgänger, die die gewonnene Freiheit mit recht loser Disziplin lohnen. Vor der Mauthalle spazierten manche ungeniert über die Fahrbahn, obgleich ihnen die Ampel Halt gebot.

Auf dem kurzen Stück zwischen der Mauthalle und der Lorenzkirche versuchen Passanten dadurch die Straßenseite zu wechseln, daß sie im Zickzack-Kurs zwischen Autos und Straßenbahnen hindurchhüpfen und die Fahrzeugkolonnen – ohnehin schon durch die Ampeln in ihrer Fahrt gedrosselt – unnötig behindern. Sperrketten nach dem Muster der Neuhauser Straße in München könnten hier rasche Abhilfe schaffen.

Schließlich handelt es sich bei diesem Stückchen Königstraße sowieso um den neuralgischsten Punkt im gesamten Einbahnsystem, weil sich nun die beiden vom Königstor und vom Hallplatz kommenden Ströme in Richtung Lorenzkirche auf zwei schmalen Spuren zusammendrängen, die obendrein von der Straßenbahn mitbenutzt werden müssen. Karl Huber deutete bereits an, daß im Bauhof ein verschärftes Halteverbot auf der Ostseite der Königstraße erwogen wird. Der fließende Verkehr soll auf dieser Strecke möglichst wenig behindert werden.

Doch trotz der Schönheitsfehler und trotz einiger Kritiker hat die Stadt mit dem Einbahnring eine Regelung gefunden, die geeignet ist, die – laut Baureferent Heinz Schmeißner – an „Verkalkung leidenden Herzkranzgefäße“ im innerstädtischen Verkehrsnetz genesen zu lassen. Denn die endgültige Lösung mit der geplanten Kurt-Schumacher-Straße ist bereits provisorisch vorweggenommen worden.

Obendrein bekamen die Fußgänger – auch an den Straßenbahnhaltestellen Lorenzkirche und Weißer Turm – mehr Platz; ein Gedanke, der bereits in einer städtebaulichen Studie über die attraktive Innenstadt enthalten ist: weitläufige Einkaufszonen verbinden die Altstadt mit dem in der Südstadt rings um den Aufseßplatz entstandenen Zentrum.

Ein Anfang wurde gestern gemacht, denn für die nächste Zukunft befreit die Neuordnung des Verkehrs das wichtige Geschäftsviertel der südlichen Altstadt vom unnötigen Durchgangsverkehr. Sie verbessert aber auch den Verkehrsablauf und die Sicherheit, beschleunigt die Straßenbahn und räumt den Passanten den ihnen gebührenden Straßenanteil ein.

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