21. September 1969: Tempel der Humanität

21.9.2019, 07:00 Uhr
21. September 1969: Tempel der Humanität

© Ulrich

In festlichem Rahmen, einer Atmosphäre vergeistigter Feierlichkeit, übergaben gestern die Nürnberger Freimaurer ihr neues Logenhaus an der Hallerwiese 16 seiner Bestimmung, als Hort der Menschlichkeit zu dienen.

Das alte Logenhaus war im Krieg zerstört worden. Jahrelang mußten sich die „Brüder“ mit einem Provisorium begnügen, bis schließlich 1951 die damals bestehenden fünf Nürnberger Logen einen Hausbauverein gründeten. 1966 brachte der Abbruch der alten Gebäude auf dem 1600 Quadratmeter großen Gelände die Bauherren ihrem Ziel um einen bedeutenden Schritt näher. Behörden und Baubürokratie allerdings taten das ihre, die Ausführung des Baus zu verzögern. Doch gestern, drei Jahre nach dem Einreichen der ersten Pläne, konnten endlich die zwölf Mieterparteien mit ihren insgesamt 400 Mitgliedern offiziell ihr neues Domizil betreten. Als Ersatz des üblichen Grundsteins werden heute zwei „Schlußsteine“ aus den Trümmern des alten Hauses in die neuen Mauern eingebaut.

„Nicht atheistisch!“

Nach den Plänen des Architekten Wilhelm Popp entstand auf 500 Quadratmetern Fläche ein eigenwillig moderner, zweistöckiger Flachbau. Das Untergeschoß beherbergt ein Café und Restaurant, das ab Sonntag auch der Öffentlichkeit zugänglich ist, außerdem drei Clubräume für je 50 Personen, in denen die Logenbrüder ihre Versammlungen, Sitzungen und Diskussionen halten werden. Ein Stockwerk höher befindet sich der „Tempel“, der wichtigste Raum eines jeden Logenhauses. In dem klassisch schönen Saal – 200 Quadratmeter groß, mit Teppichen ausgelegt, Samtvorhängen, indirekter Beleuchtung und Klimaanlage – vollzieht sich das Ritual, das „Erlebnis der Brüderlichkeit“.

Finanziert wurde das architektonisch bestechend klar gegliederte Logenhaus von den Freimaurern selber. Auf städtische oder staatliche Zuschüsse war man schon deshalb nicht angewiesen, weil die Bauherren einen Teil der Kosten – die sich auf insgesamt 800.000 DM belaufen – durch den Verkauf des restlichen 1.100 Quadratmeter großen Geländes aufbrachten, auf dem heute ein sechsstöckiges Wohnhaus steht.

Die Gelegenheit der Haus-Einweihung nutzten die „Meister“ der Nürnberger Logen, Vorurteilen, Antipathien und wilden Gerüchten über die Freimaurer als solche, die immer noch, unter der Bevölkerung verbreitet sind, entgegenzutreten. „Wir sind Menschen wie alle anderen“, betonte MdB Dr. Wolfgang Stammberger, Mitglied der Bonner Loge „Prometheus“ in seiner Eröffnungsansprache. „Wir sind weder atheistisch noch revolutionär, eben-sowenig geheime Verschwörer wie kirchenfeindliche Anarchisten.“

Ziel des Freimaurertums, das vor 250 Jahren in England seinen Ursprung hatte und seine Terminologie und Symbolik aus den Dombauhütten des Mittelalters ableitet, ist die Förderung einer weltweiten humanen Gesinnung. Es sieht sich als Schule des menschlichen Zusammenlebens mit all seinen vielfältigen Denk- und Glaubensrichtungen, als „Gemeinschaft der Ungleichgesinnten“, die bewußt eine pluralistische Gesellschaft im positiven Sinn des Wortes aufrechterhalten will, eine Gesellschaft, die die Individualität, die Meinung, die Persönlichkeit und Rasse jedes einzelnen respektiert und akzeptiert.

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