23. Oktober 1966: Musikalische Brücke

23.10.2016, 07:00 Uhr
23. Oktober 1966: Musikalische Brücke

© Gerardi

Nürnberg hat mit der ersten Begegnung dieser Art eine Brücke zwischen den Menschen hier wie dort geschlagen, weil es sich nach seiner geographischen Lage, seiner Geschichte und seiner reichsstädtischen Tradition dazu verpflichtet fühlt. Der „intime Abend“ der Combos im kleinen Saal verriet gestern schon, daß sich die Klänge hüben wie drüben gleichen wie die Bärte an jugendlichen Gesichtern.

23. Oktober 1966: Musikalische Brücke

© Gerardi

Die jungen Männer auf der Bühne, die da Piano und Schlagzeug behämmern und sich mit Posaune und Flöte schier die Lunge aus dem Leibe blasen, bestätigen rasch die Worte von Kulturreferent Dr. Hermann Glaser (zusammen mit Dr. Harald Straube spiritus rector von „Jazz Ost West 66“): „Der Jazz gedeiht in Moskau ebenso wie in New York, in Prag gleichermaßen wie in Paris!“ Vor allem zeigten sie dem Publikum, in dem längst nicht an allen Köpfen Bart und Beathaar sprießten, daß Jazz eine todernste Sache ist, auch wenn sich gelegentlich der Pianist mit dem ganzen Arm auf die Tasten wirft oder der Schlagzeuger auf dem Bauch liegend trommelt.

Besonders herzlicher Willkommensbeifall umfing die Ostblockmusikanten, denn „das Festival soll mehr als ein musikalisches Ereignis sein“. Und der ungarische Pianist Attila Garay mischte samt dem bulgarischen Flötisten Simeon Shterev auch in einer westlichen Combo wacker mit. Garay hatte zuvor erzählt, daß der Jazz in seiner Heimat ebenso eine Sache der Intellektuellen ist wie hierzulande, obwohl ihn die kommunistische Jugend seit Jahren fördert. Der Bulgare Shterev berichtete sogar voller Stolz, daß er mit seinem Quartett vom Rundfunk verpflichtet worden sei.

„Es geht Schritt für Schritt voran, seit die Kultur nicht mehr so streng reglementiert ist wie bis zur Mitte der fünfziger Jahre“, meinte der Kritiker Dr. Lubomir Doruzka aus Prag, der heute ohne seine angekündigten Kollegen aus Rußland, Polen und der DDR zum Kritikergespräch in den Kammerspielen antreten muß. Der Pole Waschko hatte schon das Fahrgeld in der Tasche, wie Dr. Straube berichtete, ist aber ausgeblieben.

Um so erfreulicher erscheint es, daß 35 Musiker aus dem Osten mit 65 renommierten westlichen Kollegen wie etwa Max Greger und Inge Brandenburg (heute abend Meistersingerhalle) in das Rampenlicht der Öffentlichkeit treten. „Was von drüben kommt, ist Klasse“, meint Horst Lippmann (Produktion). Dr. Glaser hofft denn auch, daß dieses europäische Jazz-Festival „keine modische Blüte am Baum der Jazz-Konjunktur bleibt“.

Ein junger Mann sagte gestern schon: „Ich glaube, ich möchte morgen wieder einen Platz für 12 Mark kaufen!“

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