24. Januar 1970: Der "Maxi" zieht die Blicke an

24.1.2020, 09:16 Uhr
24. Januar 1970: Der

© Ranke

"Nürnberg kann für sich in Anspruch nehmen, eine konservative Stadt zu sein." Ein einheimischer Modekaufmann sagt‘s und junge Mädchen erfahren es täglich am eigenen Leib. Der Spaziergang in einem bodenlangen Maximantel kommt einem Spießrutenlauf gleich.

Eine Mitarbeiterin unserer Redaktion wollte es genau wissen: sie hüllte sich in einen Maximantel aus braunem Tuch, schlang sich einen beigen drei Meter langen Schal um den Hals, setzte sich eine rote Häkelmütze aufs blonde Haar und stürzte sich ins Abenteuer. Die Blicke umschwärmten sie wie Motten das Licht: giftige Blicke, mitleidig lächelnde und – jawohl! – auch wohlgefällige.

Der Maximantel erlitt manch böse Abfuhr; besonders bei Damen. "Wenn man oben nichts gleichsieht, versucht man unten aufzufallen" schimpfte eine Frau und stieß ein von Herzen kommendes "Verheerend" aus. Ungnädig ruhten die Augen einer anderen Frau auf dem ungewohnten Kleidungsstück: "Allmächt na, zerscht ko‘s net korz gnoug sei, un etzatla ko‘s net lang gnoug sei." Ein Rentner schließlich fassungslos: "Jetzt spinnen‘s völlig."

Doch das modebewußte Mädchen erlebte auch warmherzige Zustimmung. "Hast schon recht, Guterle", stand ihr eine ältere Dame bei: "Nach der G‘sundheit geht‘s, und warm ist der Mantel." Dick vermummt stand eine Blumenfrau am Hauptmarkt hinter ihrem Stand und verteidigte mit Nachdruck die neue Mode: "Wenn ich Jung wär‘, würde ich auch sowas tragen. Wenn die Jugend nicht mit der Mode geht, wer soll es dann tun?"

Es gehört heute noch Mut dazu, im Maxilook auf die Straße zu gehen. Das bestätigt auch der Verkaufsleiter eines Textilhauses. Trotzdem ist er optimistisch: der Mantel werde sich durchsetzen. Seine Begründung: "Die Mädchen wollen heute nicht nur niedlich sein. Sie haben den Mut, gegen den allgemein gültigen Geschmack anzuschwimmen."

Mädchen mit "Verschwörerblick"

Längst begrüßen sich die Trägerinnen von waden- und bodenlangen Mänteln mit einem gewissen "Verschwörerblick". Eine junge Frau erklärte: "Ob die Leute schauen, ist mir egal." Sie strahlte dabei ruhiges Selbstvertrauen aus und zeigte keineswegs jene ausgesprochene Trotzreaktion wie jener junge Mann mit wildem Bart, langer Mähne und Hirtenjacke aus Afghanistan, der meinte: "Solange sich die Leute darüber aufregen, finde ich die Maximode gut. Aber wenn die "Spießer" im nächsten Jahr selber so rumlaufen, ist es nicht mehr witzig."

Was aber sagen die übrigen Männer eigentlich dazu, für die sich Eva ja schön macht? Der fast einheilige Kommentar lautet: Minis gefallen uns besser. Da wisse man wenigstens, wie man dran sei, ob das Mädchen nun dünne, dicke, gerade oder krumme Beine habe. Doch so muß der Mann von 1970 wie sein Großvater darauf warten, daß die Angebetete beim Einsteigen in die Straßenbahn oder den Zug den Mantel rafft und er so ein Stückchen Bein erspähen kann. Spätestens in einem Cafe kann er seine Neugierde befriedigen, sofern die Trägerin den Rat der Modeschöpfer befolgt und unter dem Maxi Mini trägt.

Der Maximantel wird, wenn man den Prognosen der Modehäuser glauben darf, spätestens in der nächsten Herbstsaison nicht mehr aufzuhalten sein. Wenn dann fast alle Damen als "Mönche", "Pelzmärtel", oder "Gespenster" (Ausdrücke aus der grauen Pionierzeit 1969/70) durch die Straßen wandeln, wird sich niemand mehr darüber aufregen.

Was aber, wenn die Voraussagen nicht eintreffen? Dann bleibt für Maximantel-Trägerinnen immer noch der gutgemeinte Rat einer gemütlichen Nürnbergerin: "Der Stoff ist ja gut, den können sie immer noch abschneiden."

Verwandte Themen


Keine Kommentare