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24. Oktober 1971: Zwischen Revolutionen und Reformen

24.10.2021, 07:00 Uhr
24. Oktober 1971: Zwischen Revolutionen und Reformen

© Fischer

„Es ist dabei nicht nur das Labilwerden wichtiger Gruppen in unserer Gesellschaft, die so sehr um die Stabilität kämpfen muß“, so fuhr er fort, sondern vor allem die Sorge um die geistige Entwicklung der Generation, die in nicht allzu ferner Zeit als Lehrer, als Beamte in so vielen wichtigen Berufen nachrückt und Verantwortung übernehmen muß.“

Wolff von Amerongen sagte dies als Antwort auf einen Vortrag von Prof. Dr. Ernst Helmstädter von der Universität Münster über die „ökonomischen Leitbilder des neuen Radikalismus“.

Nach Prof. Helmstädters Worten gibt es gewisse Gemeinsamkeiten in der geistigen Struktur und in den ökonomischen Vorstellungen des Radikalismus rechter und linker Provenienz, doch zeige nur der Linksradikalismus einen Aufwärtstrend vor allem in der akademischen Jugend, „da er ja in der Tat intellektuell von höherem Reiz ist“.

…mit menschlichem Gesicht

Nach der Darstellung vor Prof. Helmstädter gibt es zwei Hauptgruppierungen der Jungen Linken: die studentische Protestbewegung und die Jungsozialisten. Während die studentische Revolte auf ihrem Höhepunkt die außerparlamentarische Opposition artikulierte, betreiben die Jungsozialisten heute innerparteiliche Opposition. Sie erstreben einen „demokratischen Sozialismus mit menschlichem Gesicht“, der für gangbar gehaltene Weg ist bei ihnen nicht die Revolution, sondern systemüberwindende Reformen.

Das wirtschaftspolitische Schwergewicht liegt nach Prof. Helmstädts Darstellung bisher bei der Mitbestimmung, und zwar nicht bei der „sozialpartnerschaftlichen Mitbestimmung des DGB und der SPD“, sondern als eine „aggressive Gegenmacht gegen die Interessen der Kapitaleigner“. Mitbestimmung müsse zur Selbstbestimmung der Arbeitnehmer ausgeweitet werden.

„Man wird davon ausgehen müssen“, so Prof. Helmstädter, „daß die Mitbestimmung für die Jungsozialisten eigentlich nur eine Ersatzlösung ist, solange nämlich die Forderung nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel in unserem Lande unpraktikabel erscheint.“

Was der Jungen Linken insgesamt ganz offensichtlich vorschwebt, ist nach Prof. Helmstädter jene Art von Sozialismus, in der, wie es Prof. Marcuse ausdrückt, die Notwendigkeit, sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen, nicht mehr besteht – also die Idealform des Kommunismus.

„Die Junge Linke“, so Prof. Helmstädter, „philosophiert an der ökonomischen Problematik vorbei. Ihre ökonomischen Leitbilder sind Negativ-Schablonen, die den Gruppenzusammenhalt fördern, die etablierte Gesellschaft schockieren und die Phraseologie verewigen.“

Nach des Professors Meinung wird die Junge Linke die soziale Marktwirtschaft nicht umstoßen können. „Sie wird allerdings – vielleicht ungewollt – dazu beitragen, daß eine bis in die achtziger Jahre hineinreichende Fortschreibung unserer heutigen Wirtschaftsordnung bald in Angriff genommen werden muß.“

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