27. November 1969: Zwei heiße Favoriten

27.12.2019, 07:16 Uhr
27. November 1969: Zwei heiße Favoriten

© Fischer

Nachdem sich in den letzten Tagen zahlreiche Bewerber aus Nürnberg und dem Bundesgebiet den Stadtratsfraktionen vorgestellt hatten, gab gestern die SPD-Fraktion bekannt, auf wen ihre Wahl gefallen ist. Sie wird dem Stadtratsplenum am 17. Dezember den Diplomvolkswirt Dr. Hans Georg Schmitz aus Frankfurt als Finanz- und Oberbaudirektor, Dipl.-Ing. Otto Peter Görl als Baureferenten vorschlagen. Gleichzeitig schließt sich die SPD-Fraktion der Empfehlung von Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter an, Dr. Hermann Glaser und Karl Widmayer, deren Amtszeit ausläuft, erneut als Schul- und Kulturreferent beziehungsweise Personalreferent zu wählen.

Die Freien Demokraten wollen dagegen bei den Referentenwahlen ihre Stimmen Alfons Schremel, dem Direktor des Städtischen Rechnungsprüfungsamtes, und Baudirektor Diether Kohler, dem Leiter des Stadtplanungsamtes, geben. Die CSU-Fraktion wird sich erst am kommenden Montag entscheiden. Aber ganz gleich, auf wen ihre Wahl fällt; die Weichen dürften gestellt sein, nachdem die SPD im Rathaus über die absolute Mehrheit verfügt.

Fraktionen trafen Vorauswahl

Die Stadt hatte im Sommer dieses Jahres zum ersten Male nach dem Kriege die freiwerdenden Referentenposten ausgeschrieben. Unter den vielen Bewerbern trafen die Fraktionen zunächst eine Vorauswahl. Zur persönlichen Vorstellung am gestrigen Mittwoch bat die SPD fünf Finanzexperten und sieben Baufachleute in ihr Fraktionszimmer. Am späten Abend gab sie schließlich ihre Entscheidung bekannt, die für die Stadt Nürnberg auf Jahre hinaus von großer Bedeutung ist.

„Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir berieten vom frühen Morgen an und haben zum Teil sehr gezielte Fragen gestellt. Dabei haben sich sowohl Görl als auch Dr. Schmitz unser vollstes Vertrauen erworben“, erklärte Fraktionsvorsitzender Willi Prölß der Presse und verwies darauf, daß die beiden Kandidaten Mitglieder der SPD sind.

Dr. Schmitz und Otto Peter Görl stellten sich selbst der Presse vor. Bei Oberbaudirektor Görl wäre das gar nicht nötig gewesen, denn durch seine Mitarbeit im Hochbauamt, von 1950 bis 1961 als stellvertretender Leiter, ab 1961 als Chef, ist er weiten Kreisen der Bevölkerung nicht unbekannt. In seine Amtszeit fallen so bedeutende Bauwerke wie die Meistersingerhalle, das Großstadion, das Rathaus Theresienstraße, das neue Polizeipräsidium und zahlreiche Schulen.

Er will kein Patriarch sein

Otto Peter Görl wurde in Nankendorf geboren (1925), lebte aber schon seit seiner Kindheit – mit kurzen Unterbrechungen – in Nürnberg. Nach dem Abitur am Dürer-Gymnasium (1943) und einer kurzen Marine-Dienstzeit erlernte er in den ersten Nachkriegsjahren das Maurer- und Zimmerer-Handwerk, ehe er in Dillingen Philosophie und Naturwissenschaften, später in Karlsruhe Architektur studierte.

Drei Jahre lang war er Chefarchitekt am Ministerium für öffentliche Arbeiten in Kabul und königlicher Hofarchitekt des Schahs Mohammed Zahir von Afghanistan. Über Indien und Pakistan kehrte er 1957 nach Nürnberg zurück. Wenn er gewählt wird, woran nicht zu zweifeln ist, will er nicht patriarchalisch in seinem Amt thronen. „Ein modernes Planungs- und Informationssystem ist dringend notwendig. Das Interesse der Öffentlichkeit für das Baureferat muß geweckt werden“, erläuterte er seine Vorstellungen.

Der Oberbaudirektor dozierte weiter, daß der Baureferent in Nürnberg mit beiden Füßen auf die Gegenwart ausgerichtet sein müsse. Er dürfe dabei die Tradition nicht außer acht lassen und müsse ein vorurteilfreies Blickfeld zur Zukunft haben. „In dem Übergang zu den 70er Jahren wird man die Planung und Verwaltung im Baureferat anders betrachten müssen als in den Jahren nach dem Wiederaufbau“, sagte er. Die elektrische Datenverarbeitung, Planungsgruppen im Rahmen einer Perspektivplanung gekoppelt mit einer mittelfristigen Finanzplanung seien dabei unumgänglich. Mit Dr. Schmitz hat Görl schon jetzt eins gemeinsam: der eine will die öffentlichen Finanzen der Stadt transparenter gestalten, der andere das Bauwesen schlechthin.

Dr. Schmitz sieht in der Tatsache, daß er Nürnberg bisher nicht kennt, keinen Nachteil. Geboren wurde er in Monheim/Rheinland. Er ist 36 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Sein volkswirtschaftliches Studium begann er 1954. 1960/61 war er an der Yale-Universität in den Vereinigten Staaten eingeschrieben, anschließend promovierte er in Frankfurt/Main mit einer Arbeit über die Glücksspiele in der Bundesrepublik. 1966 wurde er Kandidat für den Posten des Stadtkämmerers Leiter der Abteilung Volkswirtschaft bei der Bundesbank in Frankfurt. Seitdem vertritt er sie auch in den verschiedensten Gremien in Bonn.

In Nürnberg will sich der Diplomvolkswirt insbesondere der finanzpolitischen Praxis widmen. „Die Daten der finanziellen Entwicklung der Stadt müssen in das Bewußtsein des Rates und der Bürger gebracht werden“, umriß er eine der Aufgaben, die er sich gestellt hat.

Es steht jetzt schon fest, daß die CSU-Fraktion gegen die Entscheidung der SPD scharf opponieren wird. In einer ersten Stellungnahme erklärte ihr Vorsitzender Georg Holzbauer, die SPD habe bei den Bewerbern neben der Qualifikation für das Amt auch die SPD-Mitgliedeschaft zu einem wesentlichen Kriterium für ihre Auswahl gemacht. Sie beweise damit einmal mehr, daß sie entschlossen sei, in Nürnberg allein zu herrschen.

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