28. November 1969: Das böse Erwachen

28.11.2019, 07:13 Uhr
28. November 1969: Das böse Erwachen

© Ulrich

In der ersten Stunde des Dienstags begann es zu schneien, und bis zum Abend war die Schneedecke 18 Zentimeter hoch. Seit 1879 hat es das nicht gegeben. Am härtesten betroffen wurde davon der Berufsverkehr, dem General Winter auf Schiene und Straße lange Wartezeiten diktierte.

Die Verkehrslage ließ die Sanitätsbereitschaft gestern vormittag Schlimmstes befürchten. Bei den Krankentransporten – es sind bis zu 140 jeden Tag und oft kommt es auf die Minute an – blieben die Wagen zuweilen hoffnungslos stecken. Ein Sanitäter: „Von Ziegelstein bis zum Wöhrder Talübergang haben wir eine Stunde und 20 Minuten gebraucht.“

28. November 1969: Das böse Erwachen

© Ulrich

Die weiße Pracht zwang die Schutzpolizei zum Großeinsatz. 45 Verkehrsunfälle mit zwei Schwer- und zwei Leichtverletzten das war mehr, als im Dienst ergraute Polizeibeamte gewöhnt sind. Die Fortbildungslehrgänge und andere Sondermaßnahmen wurden eingestellt, jeder verfügbare Polizist wurde in den Straßenverkehr geschickt.

Berufspendler, die auf den Kraftpostverkehr angewiesen sind, wurden der härtesten Geduldsprobe unterzogen. Es kam zu Verspätungen von mehr als zwei Stunden. Privatbusse wurden angemietet, um gestern abend den Pendlerverkehr zu entlasten. Auch der Zustelldienst mußte große Verspätungen hinnehmen. Telegrammzusteller mußten warten, Fahrradzusteller kamen zu Fuß schneller ans Ziel.

Auch bei der Straßenbahn griff der leise rieselnde Schnee hart in die Weichen. Wartezeiten bei Trambahn und Omnibussen: bis zu eineinhalb Stunden. Das Chaos wäre perfekt gewesen, gäbe es nicht an Knotenpunkten wie am Plärrer und am Bahnhofsplatz elektrisch beheizte Weichen. Durchschnittlich 20 Minuten Verspätung nahmen Berufspendler bei der Bundesbahn in Kauf.

Kehrblasgeräte, Schneeschleudern und sechs Schneepflüge eroberten die Start- und Landebahnen auf dem Nürnberger Flughafen. Sie schafften das Wunder: die erste Maschine nach Frankfurt – planmäßiger Start 7.45 Uhr – hob sich mit nur 15 Minuten Verspätung von der Piste. Alle weiteren 19 Starts und Landungen erfolgten auf die Minute genau nach Flugplan.

Um 5.28 Uhr war der erste Streuautomat der Stadt ausgerückt, um Nürnbergs gefährlichste „Rutschbahnen“, die Brücken und Bergstraßen der Innenstadt, mit Salz abzustumpfen. 20 Fahrer mußten tagsüber 380 Kilometer Straßen „entschärfen“. Rund 9.000 Tonnen Sand in rund 350 Streusandkästen im Stadtgebiet und weitere hundert offene Sandhaufen liegen auch für Privatpersonen zum Streuen bereit.

„Wir haben viel zu tun, daß die Rechte nicht mehr weiß, was die Linke tut. Hunderte wollten bei uns an einem Tag ihre Winterreifen aufmontieren lassen. Unsere Telefone laufen heiß!“ So klagten gestern die Reifen-Dienste. Bei tausenden Nürnberger Autofahrern war dem ersten Schnee seine Überraschung gelungen.

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