28. Juli 1966: Teures Fleisch vom Borstenvieh

28.7.2016, 07:00 Uhr
28. Juli 1966: Teures Fleisch vom Borstenvieh

© Eißner

Zwar denken die Wirte in den Bratwurstküchen nicht daran, ihren Gästen statt der bisher üblichen 35 Pfennige ein Fünferl mehr für den „Däumling“ abzuknöpfen, aber sie überlegen sich, wie sie auf andere Weise auf ihre Rechnung kommen könnten: mehr Geld für die Zutaten wie das Sauerkraut und den Kartoffelsalat.

Schließlich müssen sie – über den Daumen gepeilt – fünf Mark für ein Kilo Fleisch bezahlen; für solches vom Schinken, denn nur damit soll die echte Nürnberger Rostbratwurst gefüllt sein.

Die Gastronomen, die auf den makellosen Ruf der Spezialität bedacht sind, seufzen nicht ohne Grund. Das gegenwärtige „Schweinetief“ mit den hohen Preisen wird voraussichtlich noch viele Monate anhalten. Das Landwirtschaftsministerium in München erwartet sogar, daß die Käufer der geschlachteten Borstentiere während der nächsten Zeit noch mehr Geld ausgeben müssen. Denn wenn auch die Bauern die Gunst der Stunde zu nutzen trachten und sich mit Zuchtschweinen eindecken, so wird es noch lange dauern, bis auf dem Markt mehr Mastschweine angeboten werden. 50.000 Stück weniger

„Wir hatten im vergangenen Jahr bis zur letzten Viehzählung in Bayern einen Rückgang von 320.000 Zuchtschweinen zu verzeichnen. Allein in Mittelfranken hat sich ihre Zahl um 50.000 vermindert“, erklärt Oberveterinärdirektor Dr. Heinrich Summa, der Direktor des Nürnberger Schlacht- und Viehhofes. „Das bedeutet bei einem durchschnittlichen Nachwuchs von zehn Ferkeln je Mutterschwein ein um 3,2 Millionen Stück geringeres Angebot an Mastschweinen“, lautet die Rechnung des Fachmannes.

Preise schwanken hin und her

Wie das Auf und Ab des Angebots haben sich auch die Preise entwickelt. Waren bis zum ersten Viertel des Jahres 1964 für die Fleischschweine der Klasse C im Durchschnitt 316 DM für 100 Kilogramm bezahlt worden, so kostete die gleiche Menge im Mai nur noch zwischen 280 und 290 DM: Bei diesem geringen Erlös bremsten die Erzeuger, mit dem Ergebnis, daß seither die Preise wieder angezogen haben und in der vergangen Woche 311 DM notiert worden sind.

„Wir haben wieder einmal eine Spitze“, kommentiert Dr. Heinrich Summa, der allerdings den Einfuhren eine preisdämpfende Eigenschaft zubilligt. Denn von den wöchentlich im Nürnberger Schlachthof für die Einfuhr- und Vorratsstelle verarbeiteten Tieren kommen immerhin 200 bis 300 gleich auf den Markt, weil sie sich nicht zum Einfrieren eignen.

In den Bratwurstküchen ist davon jedoch nichts zu spüren, weil nicht der Durchschnittspreis, sondern jener für ausgesuchtes Fleisch vom vorderen und hinteren Schinken zugrundegelegt werden muß, die Verluste durch Schwarte, Knochen und Knöchel noch nicht gerechnet. „So hoch droben waren wir noch nie“, klagt einer der Gastronomen, denen die Preiswelle Kopfzerbrechen bereitet.

Schließlich haben sie sich erst im vergangenen Winter entschließen müssen, ihren Gästen statt 30 Pfennige für jede Bratwurst nun 35 abzuverlangen. Mehr sei dem Gast nicht zuzumuten, meinen sie und suchen nach Auswegen, möglicherweise über die Beilagen wie das Sauerkraut oder den Kartoffelsalat, um auf ihre Kosten zu kommen. Und sie möchten erst dann die Teuerung an den Feinschmecker weitergeben, wenn die Befürchtungen in München wahr werden sollten und das Schweinefleisch nach wie vor ein teurer Genuß bleibt.

Die Rechnung der Wirte sieht nämlich etwas anders aus. „Muß ich für eine Ware 2 DM bezahlen und schlage 80 v. H. Unkosten sowie 20 v. H. Verdienst dazu, muß ich 4 DM verlangen. Verteuert sich die Ware nur um 50 Pfennige, dann kommen eben am Ende nicht 4,50 DM, sondern 5 DM heraus“, überschlägt einer von ihnen in groben Zügen die Kalkulation.

Im Übrigen trifft nicht zuletzt den Verbraucher selbst ein Quäntchen Schuld. Die landwirtschaftlichen Markt- und Preisbeobachter kennen ihre Pappenheimer und messen dem Rat einiger Verbände, die Hausfrauen sollten von dem teueren und noch teuerer werdenden Schweinefleisch auf das preisgünstigere Rindfleisch ausweichen, keine besondere Bedeutung bei. Die Käufer wollten nun einmal „vom Schweinefleisch nicht lassen“. Trotz höherer Preise sei sogar eine wachsende Nachfrage – vornehmlich in den Städten – festzustellen.

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