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28. Oktober 1971: Langweilige Burg und düsterer Mauer-Ring

28.10.2021, 07:00 Uhr
28. Oktober 1971: Langweilige Burg und düsterer Mauer-Ring

© NN

Er fand vielmehr zahlreiche dunkle Punkte, die es bei der künftigen Entwicklung, wenn schon nicht zu tilgen, so doch mindestens zu verdecken gilt. Von den Noten, die er den wichtigsten Zonen in der Nürnberger Innenstadt gibt, handelt der zweite Bericht über die Studie für die Stadtverwaltung.

Das Maar'sche Werk beginnt just mit der Stelle, die von Einheimischen so gern den Fremden vorgeführt wird, weil sie meinen, sie sei charakteristisch für den Wiederaufbau: an der Burg. Dem Ölberg, dem Burggraben und dem Burggarten sowie ein Stück Vestnertorgraben eingeschlossen, kommt der Marktforscher bei seiner Untersuchung jedoch zu anderen Schlüssen.

Für ihn lasten auf dieser Zone zwei große Probleme. Einerseits ist sie (vor allem für die älteren Menschen) schlecht zugänglich. Zum anderen signalisiere die sterile und museale Wirkung den Besuchern, daß hier nichts los sei. Werner Maar regt deshalb an, den Elektrozug laufen zu lassen und den historischen Charakter durch Farbe, Licht und Bewegung aufzulockern. Nicht zuletzt denkt er an Burgfeste mit Ritteratmosphäre. Auch die von ihm angeregte „Patrizier-Hochzeit“ wäre auf der Burg gut aufgehoben.

28. Oktober 1971: Langweilige Burg und düsterer Mauer-Ring

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Langeweile schreibt der 41jährige auch den Gebieten um das Westtor, um den Egidienberg und um die Schildgasse zu. Die Gegend beim Fembohaus fand er zwar lebendiger, aber dort wirkten die Ruinen verheerend. Der Mangel an Aufenthaltsmöglichkeiten läßt die Fembo-Region seiner Meinung nach zum reinen Durchgang werden, so daß es dort Motive zu schaffen gelte, die zum Wiederkommen reizen.

Bessere Prädikate erhält jedoch der Platz vor dem Tiergärtnertor mit dem Dürer-Haus. der in den letzten Jahren von der Stadt bereits umgestaltet worden ist. „Entwicklungsträchtig und förderungswürdig, um ihn zu einer geschlossenen historischen Welt zu machen“, lautet das Urteil von Werner Maar, der dort gerne historische Ladenformen (ohne Kitsch) eingerichtet und das ganze Areal zur reinen Fußgängerzone umgewidmet sähe.

Zurück zu einem anderen Ort, der für die „Pöiterlesboum“ wie für die auswärtigen Besucher gleichermaßen wichtig ist: zum Hauptmarkt. Von beiden Gruppen – so schrieb der Marktforscher – werde er als angenehmste und störungsfreiste Zone der Innenstadt empfunden, die noch das Gefühl des Bummelns schenkte.

Darüber hinaus scharen sich dort die Fremden, um die Frauenkirche mit dem Männleinlaufen oder den Schönen Brunnen zu sehen, während er bei den Nürnbergern das intensivste Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Stadt weckt.

Aber: in der „guten Stube Nürnbergs“ fand der Marktforscher einen großen Nachteil. „Er wird zu veranstaltungshaft und weniger funktional gesehen“, schrieb er in seiner Untersuchung.

Mit anderen Worten: es gibt so etwas wie eine Bereitschaft, auf den Platz zu gehen, wenn etwas geschieht. Doch als Einkaufsquelle wird er vielfach nicht geachtet. Da gehen die Nürnberger lieber zur Lorenzkirche.

An der Favoritenrolle des Geschäftsviertels rings um St. Lorenz knabbern freilich die Warenhäuser (zu denen sich künftig ein weiteres zwischen Karolinen- und Kaiserstraße gesellen wird) und die Breite Gasse, in der sich zur Zeit ein Ausleseprozeß vollzieht. Auch der Verkehr, der um die Kirche brandet, verursacht bei vielen Passanten Unbehagen. Aber das wird sich eines Tages ändern, wenn die Pläne Wirklichkeit werden, nach dem U-Bahn-Bau auch die Königstraße zur Fußgängerzone zu gestalten.

Ganz im Gegensatz zu der Bevölkerung, die gemeinhin stolz auf Ihre wiedererstandene alte Stadtmauer ist, will sie Werner Maar nur von außen „historisch positiv“ sehen. Der Begriff „hinter der Mauer“ birgt für ihn etwas Herabsetzendes, das an Eckensteher- und Eckenpisser-Atmosphäre erinnert. Daher fordert die Untersuchung als Lösung neue Beleuchtungstechniken und schreibt der Stadtverwaltung ins Stammbuch: „Die Übung, Türme nur für Vereine und 'Verbände zu reservieren, hat bewirkt, daß die Zone noch verkapselter und unzugänglicher wurde.“

Ein kritisches Wort noch zum Marientor mit der Kunsthalle. „Sie gewann deutlich an Spezialinteresse und dort an Wirkung, wie sie an Allgemeininteresse verlor. Mangelnder Kontakt mit und wenig Verständnis bei der Bevölkerung“, steht in der Studie zu lesen. Diese Qualifikation gilt auch für die Sehenswürdigkeiten, die in jedem Nürnberger Führer gepriesen werden.

Werner Maar preist sie weniger. Er mahnt vielmehr: „Wenn dort nichts passiert, dann tragen sie eher zur Verödung als zur Belebung der Stadt bei. Das Museale bedarf der zusätzlichen Aktivierung, ohne die die Sehenswürdigkeiten immer mehr wie ein Schlafmittel wirken.

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