29. Mai 1965: Fakultät soll an den Stadtrand

29.5.2015, 07:21 Uhr
Eine Vision des Wetzendorf von morgen: eingegliedert in große Wohngebiete mit neuzeitlicher Architektur liegt die 6. Fakultät mit ihren neuen Bauten (innerhalb der weißen Linie).

© Gerardi Eine Vision des Wetzendorf von morgen: eingegliedert in große Wohngebiete mit neuzeitlicher Architektur liegt die 6. Fakultät mit ihren neuen Bauten (innerhalb der weißen Linie).

Knisternde Spannung lag über dem großen Rathaussaal, als gestern der Stadtrat zur entscheidenden Sitzung über den umstrittenen Standort der Fakultät zusammentraf. Die heftigen Proteste der Professoren und Studenten in den letzten Tagen gegen einen Platz im Norden hatten die Fronten verhärtet. Das zeigte sich vor allem bei der scharfen Rede des Oberbürgermeisters; es äußerte sich jedoch auch in dem Zischen der akademischen Zuhörer auf der Empore, als Kulturreferent Dr. Glaser dem Norden das Wort redete.

„Wenn der Stadtrat ein Baugelände ausweist, handelt er in voller Selbstverwaltung, das heißt, nach eigenem Ermessen“, erklärte gleich zu Beginn Oberbürgermeister Dr. Urschlechter. Dieses Recht könne nicht wegdiskutiert oder wegprotestiert werden. „Der Stadtrat hält sich dabei an die bayerische Verfassung, die für alle Bürger – also auch für Professoren und Studenten – gilt“, sagte das Stadtoberhaupt, das sich offenbar persönlich angegriffen gefühlt hatte.

Dr. Urschlechter erinnerte an den Zuschuß von jährlich 1,7 Millionen Mark für die 6. Fakultät, mit dem Nürnberg einzig unter den bayerischen Städten dastehe. Nürnberg sei stolz auf die Entwicklung der 6. Fakultät, zu der es sich ständig mit Rat und Tat sowie echter Mitverantwortung“ bekannt hat. Bei den Überlegungen um den Standort müsse sich aber die Stadt nicht nur von der ernsten Sorge um die gegenwärtige und zukünftige Unterbringung der Fakultät, sondern auch von der Entwicklung und der Gestaltung ihres ganzen Raumes leiten lassen.

Der Oberbürgermeister schilderte dem Plenum, wie die Stadt auf dem „langen, langen Weg der Verhandlungen“ stets bemüht gewesen ist, den Wünschen der Fakultät gerecht zu werden. Sie habe zuerst überprüft, ob auf dem Egidienberg Erweiterungsbauten errichtet werden können, bis ihr die Fakultät im Jahre 1962 schriftlich mitgeteilt habe, dieses Projekt sei aufgegeben. Zu dieser Zeit habe das Universitäts-Bauamt nach einem Platz in Kraftshof gestrebt, sei aber dann von der Stadt auf Wetzendorf verwiesen worden. Im März 1963 teilte der damalige Dekan, Prof. D. Weigl, schriftlich mit: „Die Fakultät hat sich dafür ausgesprochen, den Vorschlag der Stadt zu dem ihren zu machen.“

29. Mai 1965: Fakultät soll an den Stadtrand

© Gerardi

Ein halbes Jahr später sprach Rektor von Pölnitz von „spürbaren Sympathien für eine Alt-Nürnberger Lösung“ und bat darum, Möglichkeiten innerhalb der Stadtmauern zu erforschen. Die Stadt kaufte daraufhin das Schafftsche Grundstück auf der Kleinen Insel Schütt und sogar noch Gelände nördlich davon, machte jedoch Sorgen geltend, daß es möglicherweise wegen der Zahl der Studierenden eines Tages auch nicht reichen könnte. Die Fakultät meinte daraufhin, daß ihr ja zusätzliches Gelände an der Wöhrder Wiese gegeben werden könnte, falls dies nötig sei.

Da brachte das Baureferat zum erstenmal den Zeltner-Hügel und das Nordufer des künftigen Wöhrder Sees ins Gespräch – mit dem Erfolg, daß die Fakultät von nun an am See festhielt. In einem Brief vom Februar 64 ließ sie wissen: „Der Standort Hintere Insel Schütt wird preisgegeben. Als endgültiger Standort soll das Gelände nördlich der Pegnitz und östlich es Talüberganges festgelegt werden.“

Der Traum vom Haus am See wurde jedoch vom Stadtrat am 15. Juli vorigen Jahres jäh zerstört. Die Ufer sollten überhaupt nicht bebaut werden, wurde damals beschlossen. Die verärgerte Fakultät bekam eine Denkschrift mit vier neuen Varianten: Wetzendorfer Espan A und B, Scharrerstraße und Volkspark Dutzendteich. Die Verhandlungen führten bis in das Kultusministerium, in dem noch am letzten Montag mit Minister Dr. Huber alle Fragen eingehend erörtert wurden. „Nach dem Willen des Kultusministeriums soll die Fakultät in Abschnitten auf einen neuen Platz verlegt werden“, berichtete Oberbürgermeister Dr. Urschlechter. Als diesen neuen Platz schlug er dem Plenum eindeutig den Wetzendorfer Espan vor, so sehr sich auch Professoren und Studenten dagegen ausgesprochen haben.

Von dem Baugelände Regensburger-Scharrerstraße, das der Fakultät annehmbar erschienen ist, riet Dr. Urschlechter entschieden ab. Dieses Grundstück sei nicht frei verfügbar, weil es sich zum größten Teil im Besitz der Wehrkreisverwaltung befindet und einem Privateigentümer gehört. Die Wehrkreisverwaltung will zwar den Städtischen Werken diesen Platz überlassen, doch sei nicht abzusehen, ob das geplante Tauschgeschäft zustande komme. Außerdem halten die Verkehrsbetriebe an diesem Grundstück fest, weil ein Depot in Langwasser wegen der längeren Anfahrt jährlich Mehrkosten für den Betrieb von 583 000 Markt nötig machen soll. Ein Teil dieses Baulandes ist daneben schon für eine Volksschule und einen Schulsportplatz vorgesehen.

Auch Baureferent Heinz Schmeißner entpuppte sich als warmherziger Befürworter des Wetzendorfer Espans und wies ebenfalls alle Vorwürfe zurück, die Stadt habe den Baubeginn für die geplanten Bauten verzögert. Die Fakultät wertet den ganzen Stadtteil beachtlich auf, daher plane Nürnberg absichtlich im Norden“. Im Schwerpunkt der Städte Nürnberg, Fürth und Erlangen solle ein neues Stück der Stadt gestaltet werden, in dem die Fakultätsbauten der Höhepunkt sein können. „Ich traue der Fakultät so viel Potenz in der Ausstrahlung zu, daß sie hier den Kernpunkt setzt“, sagte Schmeißner und bat die Professoren: „Nehmen Sie die Taube in der Hand, statt des Täubchens auf dem Dach!“

In den schillerndsten Farben pries Schul- und Kulturreferent Dr. Hermann Glaser den Wetzendorfer Espan als „den bestmöglichen Standort zum frühestmöglichen Zeitpunkt“. Auf dem Gelände könne aufgelockert gebaut werden, es liege im Spannungsfeld zwischen Nürnberg und Erlangen, mache geistige Arbeit fernab vom Großstadtlärm und Verkehrsgewühl möglich und biete günstige Chancen für eine Erweiterung mit neuen Instituten. Dr. Glaser zitierte den Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Dr. Joas, der selbst an dieser Sitzung teilnahm, und sagte über das Projekt im Norden der Stadt: „Nur so wird es möglich sein, Planungen zu vermeiden, die allzusehr der Gegenwart verhaftet sind und für die Zukunft nicht taugen!“ Die Sprecher der SPD und CSU bejahten nachdrücklich, daß ein Standort im Norden der rechte Sitz für die Fakultät ist. „Wir halten den Wetzendorfer Espan nicht für eine Notlösung, sondern für eine weitschauende, alle Seiten befriedigende Planung“, erklärte SPD-Fraktionschef Willy Prölß. Der Stadtrat habe sich selten zuvor mit einem Projekt so eingehend beschäftigt, wie mit der Frage dieses Standortes, denn er wollte eine Entscheidung treffen, die auf die Zukunft abgestellt ist.

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