6. Mai 1962: . . . aber wer soll das bezahlen?

6.5.2012, 05:58 Uhr
6. Mai 1962: . . . aber wer soll das bezahlen?

© Gerardi

Wie der „Club“ heute auch gegen „Schalke“ spielen mag, nicht alle Zuschauer im Stadion werden in Jubel ausbrechen. Viele unter ihnen schimpfen sicherlich lauthals darüber, daß sie von ihrem Platz aus dem Spiel nur mit verrenktem Hals folgen können. Und den Stadträten werden wieder einmal die Ohren klingen, weil sie nicht längst schon ein Großstadion gebaut haben. Auf dem Papier steht ja die Fußballarena schon im Kongreßhallen-Torso. Der Erbauer des Berliner Olympiastadions, Prof. Werner March, arbeitet gegenwärtig sogar die baureifen Pläne dafür aus. Es scheint, als werde die Sporthochburg Nürnberg mit dem Kolossalbau bald neues Prestige gewinnen.

Kann es sich die Stadt aber leisten, an die 30 Millionen Mark für ein solches Projekt auszugeben? So fragen viele einsichtige Bürger, vor allem auch aktive Sportler, angesichts der fehlenden Schulhäuser, der Bettennot in den Kliniken und des Dilemmas auf den Straßen. Hat man soviel Geld ausgerechnet für ein Stadion übrig, das bestenfalls ein paarmal im Jahr genutzt werden wird?

Das Problem ist hochgespielt worden, als der „Club“ im vorigen Jahr als Sieger heimkehrte. Den Massen und dem Meister versprach Oberbürgermeister Dr. Urschlechter im Verein mit anderen Politikern, daß die Stadt für ein größeres Stadion sorgen werde. Als der Plan scheiterte, das alte Stadion zu erweitern, holte das Baureferat jene Denkschrift aus den Schubladen, in der 1954 konstatiert worden war, das Kongreßhallen-Fragment ließe sich ausschließlich als Fußballarena sinnvoll verwenden.

Der Stadtrat schwenkte erneut auf diese Marschrichtung ein und beauftragte den Stadion-Fachmann Prof. March, die Möglichkeiten dieses Planes zu prüfen. Der Berliner Experte erkannte zwar das architektonische Risiko dieses Unternehmens - „Man kann aus einem Elefanten kein Pferd machen!“ -, aber er kam doch zu dem Schluß, daß sich in den Torso ein Fußballfeld und 70 000 Plätze mit dem günstigen Verhältnis von 36 000 Sitz- zu 34 000 Stehplätzen einbauen ließen. Die äußere Hülle, die so recht nach altrömischem Kolosseum aussieht, kann freilich auch er nicht wegzaubern; sie bleibt elefantös, auch wenn das Innere noch so elegant werden sollte. Mit seinen einstimmigen Beschlüssen machte der Stadtrat dem Grübeln darüber ein Ende, was mit dem monströsen Erbstück des Dritten Reiches in unserer Zeit angefangen werden könnte. Schon 1954 war er froh gewesen, daß mit der Idee des Großstadions ein Fernziel für die Kongreßhalle aufgezeigt war. Er schloß sich damit der Meinung des Baureferates an, daß die teure Halle nicht nutzlos herumstehen oder gar mit einem damals geschätzten Aufwand von 12 Millionen Mark abgebrochen werden soll.

Schließlich waren in sie zwischen 1934 und 1944 82 Millionen Reichsmark hineingebaut worden; im Endausbau sollte „das Ding“ - über den Daumen gepeilt – 250 Millionen Mark kosten. Nach dem heutigen Bauindex würde der unvollendete Rundbau, der auf einer Stahlbetonplatte von 3,5 Meter Stärke steht und meterdicke Granitmauern hat, bereits auf diese riesige Summe kommen.

Das Fußballstadion war der Weisheit letzter Schluß, nachdem Baurat Willi Neuhöfer bei seinen Voruntersuchungen keinen Weg fand, den Rundbau etwa in einen Ausstellungskomplex zu verwandeln. Darüber sprach man zwar zwischen 1948 und 1950, als mit der Deutschen Bauausstellung auf diesem Gelände scheinbar ein hoffnungsvoller Anfang gemacht war, ließ aber dann aus gewichtigen Gründen von dem Projekt wieder ab. Weil aber beschlossen war, die Halle später einmal zu verwenden, opferte die Stadt in den folgenden Jahren 2,5 Millionen DMark, um die Substanz des Bauwerks zu erhalten. Dieses Geld will man jetzt natürlich nicht verschenkt haben.

Immerhin bot der Tabellenstand des „Club“ bei der Entscheidung des Stadtrats vom Jahre 1954 keinen dringenden Anlaß, das Projekt eilig weiterzuverfolgen. Dagegen zwang die Ausicht auf einige zugkräftige Spiele des Meisters im vorigen Jahr den Stadtrat, sich mit einem Zufall herumzuschlagen, der bis ins Jahr 1928 zurückdatiert. Damit hatte Prof. Ludwig Ruff beim Wettbewerb für eine Nürnberger Stadthalle im Carmer-Klett-Park außer Konkurrenz einen Entwurf eingereicht, der ein solches Gebäude für den heutigen Volksfestplatz vorsah.

Die Stadt ließ diesen Plan unter den Tisch fallen, aber der spätere Gauleiter Julius Streicher erinnerte sich seiner, als Adolf Hitler eine neue Tagungshalle für die Reichsparteitage begehrte. Prof. Ruff wurde zum Obersalzberg befohlen, wo seine bescheidene Stadthalle zu einem Kolosseum „aufgeblasen“ wurde. Obwohl bis fast in die letzten Kriegstage an dem gewaltigen Projekt gearbeitet wurde, kam es als nichts Halbes und nichts Ganzes auf die demokratisierten Nürnberger, von denen viele das Bauwerk aus politischen Gründen scheel anschauten.

6. Mai 1962: . . . aber wer soll das bezahlen?

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Die Meisterschaft des 1. FCN vom vergangenen Jahr spornte aber den Stadtrat zu neuer Tatkraft an. Aug' in Aug' mit den Fußballenthusiasten auf der Rathausempore besann er sich einstimmig der großen Nürnberger Sporttradition. Erst vor ein paar Wochen, als der geplante Ausbau der Kongreßhalle vorsichtig mit 30 Millionen Mark beziffert wurde, dämmerten in allen Fraktionen die ersten Bedenken.

Die Kommunalpolitiker werden Farbe bekennen müssen, wenn Prof. March die fertigen Pläne liefert. Dann gilt es in aller Öffentlichkeit abzuschätzen, ob die Schnellstraße für die Stadt lebenswichtiger ist oder das Großstadion. Bei den großen Vorhaben des nächsten Jahrzehnts sind die Finanzen nämlich bis zum letzten Pfennig „verplant“.

Befürworter des Kongreßhallenplanes führen vor allem den finanziellen Gewinn ins Feld, den Nürnberg mit einer Fußballarena erzielen könne. Die Erfahrungen mit dem alten Stadion, das 1928 eine olympische Goldmedaille errungen hat und auch aus architektonischer Pietät nicht mehr ausgebaut werden soll, lassen jedoch nicht viel erwarten: es bringt bei „ausverkauftem Haus“ an die 7500 Mark Miete, weil dem Veranstalter nur 5 v. H. der Bruttoeinnahmen abverlangt werden. Der laufende Unterhalt kostet aber jährlich 150 000 DM; er würde im Falle der Kongreßhalle sicher noch viel höher liegen.

Damit bei der gegenwärtigen Kalkulation wenigstens die Unkosten gedeckt werden könnten, müßten also mindestens 20 große Fußballspiele in jedem Jahr dort abgehalten werden. Im Jahre 1962 hat aber der „Club“ das Stadion nur achtmal beansprucht: für die drei Gruppenspiele bei der Deutschen Meisterschaft, für zwei Europapokal-Spiele und für die Kämpfe gegen den Karlsruher Sportclub, den VfB Stuttgart und die Frankfurter Eintracht. Die übrigen Spiele hat er in einem eigenen Sportpark Zabo abwickeln können, weil sie kein allzu großes Publikumsinteresse gefunden haben. Die Stadt ist also nicht auf ihre Kosten gekommen.

Freilich, ein Stadion ist kein gewinnbringendes Unternehmen, weil es für Veranstaltungen der Jugend und des Breitensports unentgeltlich gestellt wird. Aber die Zahl der Spiele in der ausgebauten Kongreßhalle stünde und fiele mit dem Tabellenplatz und dem sportlichen Erfolg des 1. FCN. Es ist zu befürchten, daß das Großstadion ungenutzt bleiben wird, wenn der „Club“ einmal nicht mehr in solchen Höhen wie heute rangiert und der starke Besuch ausbleibt. Der Deutsche Fußball-Bund hat die Stadt Nürnberg zwar in ihrem Plan bestärkt, aber er gibt natürlich keine langfristigen Zusagen für Länderspiele, zumal immer mehr Großstadien in der Bundesrepublik gebaut werden und die Konkurrenz der Städte stärker wird.

Solche Argumente mögen all jenen wenig einleuchten, die heute abend im unzureichenden alten Stadion hin- und hergeschoben, schier erdrückt werden und obendrein kaum etwas vom Spiel sehen. Wird man dagegen gleich ein neues Opernhaus fordern können, wenn alle Jubeljahre einmal Gesangsstar Maria Callas hier auftritt und die Hälfte aller Kunstfreunde vor den verschlossenen Saaltüren steht?

Sicherlich wäre ein großes Fußballstadion auf lange Zeit ein Gewinn für Nürnberg. Aber es müssen ohnehin noch Generationen für all das bezahlen, was heute gebaut wird. Da bleibt nur die bange Frage, ob die Stadt gerade jetzt einen zweiten Prestigebau neben der kostspieligen Konzerthalle verantworten kann.

 

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 6. Mai 1962

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