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26.3.2020, 13:50 Uhr

Die Natur des Menschen sieht es vor, dass sich das Kind in der Pubertät von seinem Elternhaus ablöst. Freunde und Freizeit schubsen Mama und Papa vom Thron. Und jetzt das: Hausarrest, von jetzt auf gleich, ausschließlich Tür an Tür mit den Erwachsenen, von denen man sich lieber mehr als weniger distanzieren möchte.

Svenja Herget hat das Dilemma erkannt. "Gerade von euch wird viel abverlangt: Ihr sollt zuhause bleiben und dürft eure Freunde nicht treffen", schreibt sie auf einem Flyer. Die Nürnbergerin ist Dozentin für Sprachen, gibt unter anderem Nachhilfeunterricht, hat viel Kontakt zu Jugendlichen - und macht sich Gedanken. Denn das Coronavirus trifft auch Jugendliche. Nicht unbedingt körperlich, dafür umso mehr mental und psychisch.

Und das aus zwei Gründen: Gerade sie erleben vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben eine Ausnahmesituation. Sie sind ebenso verunsichert, verängstigt, isoliert wie Erwachsene. Doch - und das ist der zweite Grund - während kleine Kinder den ernst der Lage nicht verstehen und Erwachsene mit der Organisation des Ausnahmezustandes beschäftigt sind, nehmen Jugendliche eine Art Sandwichposition in Familien ein.

Der städtische Erziehungsberater Christoph Scholz beschreibt das so: "Das ist wie bei Trennungskindern. Um die Kleinen kümmert man sich, den Größeren wird aber oft zuviel an Eigenverantwortung abverlangt. Wir erwarten, dass sie auf uns zukommen, wenn sie was bedrückt. Schließlich sind sie ja "schon groß". Doch auch sie sind schlicht überfordert. Ihre Reaktion: Sie machen viel mit sich selbst aus."

Genau an diesem Punkt knüpft Svenja Herget mit ihrer Initiative an: Auf ihrem Flyer will sie Jugendliche dazu anregen, ein Tagebuch zu schreiben. Nicht als Pflichtprogramm oder im Rahmen der Schularbeiten und auch nicht notwendig jeden Tag. Sondern als Möglichkeit und ganz und gar freiwillig, betont die 54-Jährige. Das Tagebuchschreiben könnte ein Ventil sein für Wut und Anspannung, im Schreiben können sie offen sein, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf Eltern oder Geschwister. "Jugendliche sind so lebendig, sozial und kreativ - aber jetzt werden sie zur Passivität verdammt."

"Das Ganze fühlt sich komisch an. Vor allem, dass man nicht weiß, wie lange das noch gehen wird. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage - aber ich vermisse die Schule", schreibt Emilia, 14, die ein Praktikum bei den Nürnberger Nachrichten gemacht hat und es jetzt vorzeitig abbrechen musste. Eine Mutter erzählt von ihrem 15-jährigen Sohn, der gerade frisch verliebt ist. "Gerade die Zeit, in der man nichts anderes will, als den anderen zu sehen und in seiner Nähe zu sein, das Kribbeln zu spüren, die wird den beiden genommen. Er ist todtraurig."

Für uns Eltern bedeutet das vor allem eines: Wir müssen uns bewusst werden und es ihnen zugestehen, dass auch unsere heranwachsenden Kinder in einer schwierigen Situation sind. Denn ob uns das nun passt oder nicht: Die Verantwortung, ob die Stimmung daheim eskaliert oder nicht, die tragen noch immer wir Eltern. "Ich rate Erwachsenen in solchen Ausnahmesituationen vor allem eines: Lasst mal alle Fünfe gerade sein", sagt Sozialpädagoge Scholz. Konkret plädiert er dafür, dass Nichts-Tun mal auszuhalten. "Wenn wir immer nur kritisieren, korrigieren und fordern, dann ist das eher kontraproduktiv."

Spannungen entstehen vor allem da, wo Erwartungen überhöht sind. Scholz schildert eine klassische Streit-Situation: "Das kommt auch gerne in Partnerschaften vor: Der eine Part ist gestresst, genervt, überarbeitet und überfordert und wirft dem anderen Part vor, nichts zu tun." Gerade jetzt seien eine klare Kommunikation und Absprachen miteinander wichtig. "Und ein Runterfahren von Perfektionsansprüchen." Das heißt konkret: Der Teenager kocht und die Küche sieht entsprechend aus? "Dann loben sie ihn ohne Wenn und Aber."

Und wenn es Sie nervt, dass ihr Kind daheim den ganzen Tag nur abhängt, "dann hinterfragen Sie sich einfach mal: Warum kann ich das nicht zulassen?" Warum können wir unserem Teenager nicht zugestehen, einfach mal länger zu schlafen? Einfach mal länger am Bildschirm zu hängen. Einfach mal nichts zu tun. Ist es Neid oder Sehnsucht?

Mehrmals betont Christoph Scholz, dass gerade eine Ausnahmesituation sei. "Das legitimiert ungewöhnliche Maßnahmen und Verhaltensweisen auch von uns Eltern." Wir könnten zum Beispiel zur Abwechslung mal die Rolle als Besserwisser und Bevormunder abschütteln. Denn oft suchen Jugendliche deshalb nicht das Gespräch mit den Eltern, weil Eltern sie gerne mit Ratschlägen bombardieren. Und sowieso immer Recht haben. "Es gibt nicht immer für alles sofort eine Lösung. Wir Eltern könnten aber auch einfach mal zuhören."

Wir alle, Eltern und Kinder, sind gezwungen, es auf begrenztem Raum miteinander auszuhalten. "Der Ausgleich in Form von Sport, Schule, Kino, Konzerte, Abhängen mit Freunden - all das fehlt den Jugendlichen enorm." Gabriel, 15, schreibt, was sein Ausgleich ist: "Ich gehe viel Fahrrad fahren oder joggen. Das kann ich machen, wenn mir daheim die Decke auf den Kopf fällt."

Und Vera, 18, schreibt: "Mit Freunden habe ich, Social Media sei Dank, unverändert Kontakt. Jetzt treffen wir uns zum Quatschen nur nicht mehr im Café, sondern auf Skype oder Whatsapp. Ich fühle mich wie in einer Zombie-Apokalypse, nur statt mit einer Schrotflinte bin ich mit Toilettenpapier bewaffnet. Es ist eine komische Zeit, aber auch die werden wir überstehen."

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