Abriss naht: Südstädter nehmen Abschied von "Schocken"

7.4.2018, 15:45 Uhr
Kahle Hallen: Der Schocken am Aufseßplatz steht seit mittlerweile sechs Jahren leer. In Kürze soll der Bau abgerissen werden.

© Günter Distler Kahle Hallen: Der Schocken am Aufseßplatz steht seit mittlerweile sechs Jahren leer. In Kürze soll der Bau abgerissen werden.

Mit so viel Andrang hatten Alexander Schmidt und die Organisatoren nicht gerechnet. Vor dem Kaufhauseingang am Aufseßplatz standen mehr als Hundert Besucher, die der Einladung des Vereins Forum für jüdische Geschichte und Kultur gefolgt waren. Eine Menschenmenge, wie sie vor den Toren des Kaufhauses zuletzt allenfalls beim Räumungsverkauf vor der Schließung 2012 zu sehen war.

Seine Glanzzeiten hatte der Bau, der seit sechs Jahren leer steht und auf einen Abriss wartet, da freilich längst schon hinter sich. Von der bahnbrechenden, modernen Formsprache mit der Salman Schocken und sein Hausarchitekt Erich Mendelsohn sich hier in der Südstadt vom historischen und historisierenden Baustil in Nürnberg absetzten, war nämlich nicht mehr viel zu sehen. Außer einem weiß getünchten Treppenhaus, das nicht nur Historiker Alexander Schmidt, sondern auch viele Besucher gern erhalten sähen, hat nichts die zahlreichen Umbauten und Umgestaltungen nach dem Zweiten Weltkrieg überstanden.

Als der Einzelhandel neue Wege ging 

Das Kaufhaus, mit dem das Flachdach oder durchgehende Fensterbänder an der Fassade erstmals Einzug in der Stadt hielten, war laut Historiker Schmidt "ein Gegenentwurf zu protzigen Einkaufspalästen", wie dem heute Wöhrl-Gebäude in der Innenstadt. Und das nicht nur architektonisch, sondern auch konzeptionell: Statt einer riesigen Auswahl für die gut betuchte Bürgerschaft gab es hier ein kleineres, aber erschwingliches Sortiment für den schmalen Geldbeutel der Arbeitermassen in der Südstadt.

Dass er im Einzelhandel neue Wege ging - und damit auch großen Erfolg hatte - gefiel natürlich nicht jedermann. Die Bürgerschaft lehnte das Kaufhaus vor allem wegen der ungeliebten modernen Architektur ab. Oberbürgermeister Hermann Luppe etwa motzte wenig feinfühlig noch bei der Eröffnung 1926, er hätte diese hässliche Architektur am liebsten verhindert. Tausenden von Kunden, die den neuen Einkaufstempel am ersten Tag stürmten, war das allerdings gleich.

Ein Projekt, das seiner Zukunft voraus war 

Ein Dorn im Auge waren Salman Schocken und sein Unternehmen vor allem den antisemitischen Hetzern vom Stürmer, die für ihre Kampagnen gegen den jüdischen Geschäftsmann auch Rückhalt von Einzelhändlern hatten, die um ihre Einnahmen bangten. Auf den grassierenden Judenhass fand der Kaufhausvisionär ebenfalls eine Antwort, die seinem Erfindungsgeist entspricht.

Mit dem 1931 gegründeten Schocken-Verlag, der unter anderem Kafkas Werke herausgab, brachte er bis 1938 jüdische, für die Nazis subversive Literatur unters Volk. Seine im gleichen Jahr enteigneten Kaufhäuser erhielt der emigrierte Schocken nach dem Krieg zwar zurück, verkaufte sie aber 1953, womit ein laut Schmidt "jüdisches und fortschrittliches Projekt" in Nürnberg endete. Ein Projekt, das seiner Zeit offenbar zu weit voraus war.

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