Als es an der Fürther Straße Hopfen und Farben gab

15.1.2020, 16:36 Uhr
Moderne monumental: das Verkaufskontor der Farbwerke Hoechst in der Fürther Straße 84 anno 1965. Man beachte auch die Außenreklame und die Automodelle.

© Gertrud Glasow (Sammlung Stefan Schwach) Moderne monumental: das Verkaufskontor der Farbwerke Hoechst in der Fürther Straße 84 anno 1965. Man beachte auch die Außenreklame und die Automodelle.

Höchst am Main ist– neben Sachsenhausen – der wohl bekannteste Stadtteil von Frankfurt am Main. Eher unfreiwillig indes, denn die Höchster wollten die Eingemeindung in die Nachbarstadt anno 1928 nicht, und dann rührt die internationale Bekanntheit auch nicht einmal von dem Ort selbst her, sondern von seinem einstmals größten Brötchengeber, dem Chemie- und Pharmakonzern Hoechst.

In Nürnberg hinterließ das Unternehmen seine Spuren in Gestalt eines „Verkaufskontors“, den es 1958 in der Fürther Straße 84 eröffnete. Schon lange vor dem Krieg hatte Hoechst damit begonnen, ein Netz von Verkaufsstellen zu errichten, durch das es seine Produkte (Farben, Reinigungsmittel, und so weiter) direkt vertreiben konnte. Die meisten von ihnen entstanden jedoch erst in den Nachkriegsjahren, etwa in Frankfurt am Main, Mannheim und München.

Heute herrscht vermeintlich tote Hose am und im Hoechst-Gebäude. Tatsächlich nutzt der IT-Dienstleister Datev einen Teil des Komplexes als Bürogebäude.

Heute herrscht vermeintlich tote Hose am und im Hoechst-Gebäude. Tatsächlich nutzt der IT-Dienstleister Datev einen Teil des Komplexes als Bürogebäude. © Sebastian Gulden

Die Gestaltung der Neubauten war jeweils individuell und lag zumeist in Händen renommierter Architekten aus der Region. Gemein war ihnen die funktionale Formensprache, die den Industrie- und Gewerbebau der Wirtschaftswunderzeit dominierte.

In Nürnberg zeichnete Friedrich Seegy, Sohn des städtischen Oberbaurates Otto Seegy und Erbauer des Flughafens, des Neuen Gymnasiums und des Bratwursthäusles bei St.  Sebald, für die Planung verantwortlich.

Der repräsentative Gebäudeteil an der Fürther Straße, mit ausladendem Vordach und Kundenparkplätzen, enthielt neben den Verkaufsräumen einen Vortragssaal für Veranstaltungen mit Vertretern und Großkunden, einen hauseigenen Imbiss und Verwaltungsbüros.

Very british! Die Steinleins gönnten sich ein Verwaltungsgebäude im Stil der Neugotik, hier auf einer Fotografie von 1927.

Very british! Die Steinleins gönnten sich ein Verwaltungsgebäude im Stil der Neugotik, hier auf einer Fotografie von 1927. © Gebr. Steinlein (Sammlung Sebastian Gulden)

Dass das Grundstück gen Norden bis an die Bärenschanzstraße heranreichte, erleichterte die Anlieferung zum Warenlager, das sich gemeinsam mit der Wohnung des Hausmeisters in einem rückwärtigen Flügel befand. Genauso wie die Hoechst AG selbst ist der Verkaufskontor inzwischen Geschichte. Heute nutzt der IT-Dienstleister Datev das Gebäude unter der internen Bezeichnung „Standort Bärenschanze“.

Als betont kubischer Stahlbetonskelettbau mit Verkleidung aus Basaltlava- und Mainsandsteinplatten und seiner von der Straße weit zurückgesetzten Lage, hebt sich der Kontor aus dem Ensemble der verspielten historistischen Nachbarhäuser der Zeit um 1900 heraus.

Tatsächlich war der Baugrund vorne an der Fürther Straße bis 1958 unbebaut; Architekt Hans Müllers Plan von 1925, der dort einen „Lückenfüller“ in Form eines großen Mietshauses mit luxuriösen Wohnungen vorsah, kam nie zur Umsetzung.

Auch ein schöner Rücken kann entzücken: 1927 kehrten Hopfenlager und Darre der Firma Gebr. Steinlein der Fürther Straße die Rückfassaden zu.

Auch ein schöner Rücken kann entzücken: 1927 kehrten Hopfenlager und Darre der Firma Gebr. Steinlein der Fürther Straße die Rückfassaden zu. © Gebr. Steinlein (Sammlung Sebastian Gulden)

Schon 1889 bis 1890 hatte die Hopfengroßhandlung Gebrüder Bloch, die später von Jakob Forchheimer und anschließend von den Gebrüdern Steinlein übernommen wurde, das Grundstück bebaut.

Die Schokoladenseite des Betriebes lag allerdings nicht an der Fürther Straße, dem er ganz unverblümt die Backsteinfronten des Lagergebäudes mit der Schwefeldarre und den parkartigen Garten zuwandte; diese lag vielmehr an der ungleich ruhigeren und lauschigeren Bärenschanzstraße. Dort erhob sich bei Hausnummer 113 das Wohn- und Verwaltungsgebäude der Hopfenfirma.

Emil Hecht hatte den schlossartigen Bau entworfen, den man ob seiner zauberhaften und dennoch nicht aufdringlichen neugotischen Gestaltung eher auf einem englischen Landsitz vermuten würde als in einer Nürnberger Nebenstraße.

Im Gegensatz zum repräsentativen Vorderhaus versprüht der Rückflügel des Hoechst-Gebäudes an der Bärenschanzstraße 113 heute einen eher spröden Charme.

Im Gegensatz zum repräsentativen Vorderhaus versprüht der Rückflügel des Hoechst-Gebäudes an der Bärenschanzstraße 113 heute einen eher spröden Charme. © Sebastian Gulden

Leider war das Schicksal den Steinleins nicht hold: Die Weltwirtschaftskrise von 1931 trieb eine der größten Nürnberger Hopfen- und Pferdehandlungen in den Ruin – und besiegelte das Leben Anton Steinleins, der sich aus Verzweiflung erhängte. Die Firma Gebrüder Steinlein bestand fort, fiel aber 1937 der „Arisierung“ durch die Nationalsozialisten und 1945 den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer.

Eine versöhnliche Notiz zum Schluss: Nachdem die Firma Steinlein in den 1920er Jahren einen Teil ihres Verwaltungsgebäudes zu Wohnungen hatte umbauen lassen, beherbergte Anton Steinlein – selbst jüdischen Glaubens – in seinen Mauern für mehrere Jahre den Priester und das Pfarramt der katholischen Gemeinde St. Antonius zu Gostenhof. Eine ungewöhnliche Hausgemeinschaft über Glaubensgrenzen hinweg in einer Zeit, in der die üble Saat von Antisemitismus und Nationalismus ihre faulen Früchte trieb.

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