Am Ort der Abenteuer

25.6.2019, 08:00 Uhr
Unterricht im Museum kann richtig viel Spaß machen: Im Germanischen Nationalmuseum beschäftigen sich Erstklässler aus Eibach mit viel Eifer mit dem Thema Märchen.

© Roland Fengler Unterricht im Museum kann richtig viel Spaß machen: Im Germanischen Nationalmuseum beschäftigen sich Erstklässler aus Eibach mit viel Eifer mit dem Thema Märchen.

Für Yusuf ist dieses riesige Gebäude ein Ort der Abenteuer. Er mag den Geruch nach Vergangenheit, die Dinge, die er noch nie gesehen hat. Mit allen Sinnen saugt der Siebenjährige auf, was ihm hier präsentiert wird. Geschichte und Kunst, das Leben wie es früher einmal war in all seinen Facetten. "Es gibt hier viele komische Sachen, die ich noch nicht kenne", sagt der Junge. Aufmerksam verfolgt er, was Johanna Kläver vom Kulturpädagogischen Zentrum erzählt, immer wieder reckt er seinen Finger nach oben. Er möchte sprechen über das, was er sieht, was er weiß, was er denkt.

14 Erstklässler aus Eibach sind mit ihrer Lehrerin Silke Meggendorfer ins Germanische Nationalmuseum gekommen. Es geht heute um das Thema Märchen. Da hat die aufgeweckte Schar einiges beizutragen, Mädchen wie Jungs, die bei Rotkäppchen auch schon mal einen Roboter auftreten lassen. Die Museumspädagogin Johanna Kläver nimmt ihre kleinen Gäste ernst, geht mit Geduld und Humor auf deren Beiträge ein. Die Kinder sind offen und interessiert, die richtige Haltung, um ein Museum zu erobern.

In Zusammenarbeit mit dem DB-Museum und dem Neuen Museum bietet das KPZ seit vier Jahren ein Museumscurriculum für Grundschüler an. Im Laufe eines Schuljahres besuchen die Klassen, die an dem Angebot teilnehmen, insgesamt fünfmal ein Nürnberger Museum – kostenfrei und immer mit Bezug zum Lehrplan. Mit im Besuchsprogramm dabei sind auch das Stadtmuseum im Fembohaus, das Museum Industriekultur, das Albrecht-Dürer-Haus, das Spielzeugmuseum und die Kunstvilla.

Zu Beginn, im Schuljahr 2015/16, konnten 23 Klassen an dem Projekt teilnehmen. In diesem Schuljahr sind es bereits 56 Klassen mit rund 1200 Kindern. Ermöglicht wird das Angebot mit Hilfe von Spenden. Zumindest bis zum Schuljahr 2021/22 ist es aufgrund einer großen anonymen Zuwendung erst einmal gesichert.

Das Museum als Lernort: Das Programm orientiert sich am bayerischen Grundschullehrplan. Behandelt werden Themen aus dem Heimat- und Sachkundeunterricht, Deutsch, Kunst, Werken, Musik, Religion und Ethik. Die Idee, ein Museumscurriculum zu schaffen, stammt aus Bonn. Im Sommer 2013 erarbeitete das KPZ ein eigenes für die Nürnberger Grundschulen.

Eintauchen in die Vergangenheit

Museen sollen keine Einrichtungen für kleine, privilegierte Gruppen sein. Gesa Büchert, die beim KPZ für Interkulturelles Lernen und das Museums-Projekt zuständig ist, betont: "Es geht darum, Hemmschwellen abzubauen. Ziel ist, den Kindern einen eigenständigen Zugang zu den Museen zu eröffnen, sich mit der Vergangenheit und der Gegenwart zu beschäftigen und mit ihrer Lebenswelt zu verzahnen." Tatsächlich kommen die Kinder oft mit ihren Eltern wieder, wie Lehrkräfte berichten. Auch Jusuf will bald seine Eltern und seine kleine Schwester ins Germanische mitbringen. Das hat er sich fest vorgenommen.

Mit blauen Sitzkissen unter dem Arm marschiert die Gruppe hinter Johanna Kläver her. In einer Bauernstube scharen sich die Kinder um die Feuerstelle und staunen sich in die Vergangenheit. Es ist düster, riecht nach altem Holz. Kein elektrisches Licht, kein Kühlschrank, kein Fernseher, kein Handy. Die Menschen saßen abends beisammen und haben sich Geschichten erzählt – Märchen, sagt Johanna Kläver.

Ein Haus voller Märchenmaterial

Ideale Anschauungsobjekte finden sich im Germanischen Nationalmuseum, es steckt voller Märchenmaterial: Da ist Dornröschens Spindel, eine mächtige Standuhr, in deren Kasten locker das siebte Geißlein gepasst hätte, um sich vor dem Wolf zu verstecken, oder ein riesiger, fast blinder Spiegel mit Goldrand, in dem sich Schneewittchens böse Stiefmutter betrachten könnte.

"Es macht den Kinder unheimlich viel Spaß, ins Museum zu gehen", sagt Silke Meggendorfer. "Sie freuen sich sehr darauf und gehen mit offenen Augen durch das Haus." Im "Germanischen" ist sie mit den Kindern bereits zum zweiten Mal. "Das Angebot ist super. Damit kann man die Kinder wirklich für Museen begeistern. Sie nehmen unheimlich viel von den Besuchen mit." Im Unterricht werden die Themen nachbereitet – in diesem Fall heißt das: Es werden Märchen besprochen.

Zu den Kooperationspartnern des KPZ gehört das Schulreferat unter der Leitung von Bürgermeister Klemens Gsell. Kürzlich war das Museumscurriculum Thema im Schulausschuss des Stadtrats und stieß dort auf viel Beifall. "Mit dem Projekt werden auch die Eltern erreicht", sagte Elke Leo von den Grünen. "Es wäre schön, wenn es so etwas auch für größere Schüler gäbe." Das sehen CSU und SPD genauso. "So kann die Begeisterungsfähigkeit der jungen Menschen für Museen entfacht werden", findet Martina Kontsek von den Sozialdemokraten.

Einig sind sich die Stadträte darin, dass es sich lohnt zu prüfen, ob das Programm auch auf höhere Jahrgangsstufen ausgeweitet werden kann – den Anforderungen der Stundenpläne angepasst. Mit der Aufgabe betraut werden das KPZ und das Institut für Pädagogik und Schulpsychologie Nürnberg (IPSN).

Am Ende ihrer Tour durch das Germanische Nationalmuseum steht für die Erstklässler aus Eibach auch noch ein beliebter praktischer Programmpunkt an: Malen. Das Thema ist klar: Märchen. Die Mädchen entscheiden sich mehrheitlich für Dornröschen, bei den Jungs kommt der Wolf gut an. Yusuf will nichts verraten. "Ich denke mir selbst eine Geschichte aus."

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