Artnights in Nürnberg: Für einen Abend Künstler sein

Nürnberg - Jeder kann malen: Das ist die Devise der Artnights, deren Konzept derzeit bundesweit erfolgreich ist. Malen in einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe, nach der Vorlage eines professionellen Künstlers und mit dessen Anleitung — das trifft auch in Nürnberg einen Nerv. Wir haben es ausprobiert.

Knallig bunt sieht der Hase aus, der da vor mir auf dem Tisch liegt und mir ein bisschen Angst einjagt. Denn erstens wird auf Anhieb klar, dass bei dem hübschen Aquarell kein geringerer als Albrecht Dürer Pate stand. Und zweitens kommt das putzige Tier so perfekt daher, dass man es sich sofort an die Wand hängen möchte. Und so etwas sollen wir jetzt auch hinbekommen?

Das künstlerische Talent meiner Tischnachbarn kann ich natürlich nicht beurteilen, bei mir selbst aber weiß ich genau, dass die letzte Stunde Kunstunterricht nicht nur Jahrzehnte zurückliegt, sondern auch nie von besonderem Erfolg gekürt war. Irgendwie kam nie so ganz das dabei heraus, was der Lehrer sehen wollte. Und seitdem habe ich allenfalls einen Bleistift in die Hand genommen, um bei Ratespielen im Freundeskreis etwas mehr oder weniger Unidentifizierbares aufs Papier zu kritzeln und dabei zu hoffen, dass einer meiner Mitstreiter dennoch ergründen kann, was damit gemeint sein könnte. Außerdem gab es da noch ein paar Versuche mit Buntstiften, als meine Kinder nett darum baten. "Mama, mal doch mal ein Haus . . ." Und jetzt gleich ein Hase?

Der Spaß steht im Vordergrund

© Roland Fengler

Zum Glück verfliegt meine Nervosität zum Teil, als ich sehe, was Irene Anding für uns im Nebenraum der Osteria da Gianni in St. Johannis aufgebaut hat. Sie ist die Künstlerin, die uns heute durch den Abend begleitet und hat nicht nur gute Laune, sondern auch das nötige Material mitgebracht.

Vor uns auf den Tischen steht hinter der Ehrfurcht gebietenden Vorlage, die natürlich von Anding stammt, eine kleine Staffelei samt Pinseln, die von einer Klemmlampe beleuchtet wird. Und davor liegt eine Kopie der Dürer-Zeichnung, genau in der Größe, in der wir sie gleich nachmalen werden. Wir können die Skizze mit Hilfe von Durchschlagpapier auf die Leinwand bringen oder aber das Motiv dahinter klemmen und es so einfach nachzeichnen. Das könnte doch tatsächlich zu schaffen sein!

Wer dennoch leise zweifelt, der bekommt von Anding neben praktischer Hilfe auch jede Menge Motivation. "Mein Hauptanliegen ist, dass ihr Spaß habt und glücklich nach Hause geht", sagt die 53-Jährige zu der bunt gemischten Gruppe, die sich an den Tischen versammelt hat: Pärchen, Mütter und Töchter, Freunde, Wiederholungstäter und Novizen. Und auch Andings Assistent Wolfgang Kampshoff macht uns Mut. "Auf die Feinheiten kommt es gar nicht so sehr an, die Umrisse reichen erst mal aus."

Kunst kennt keine Regeln

Mit diesen Tipps und den Hilfsmitteln schaffen es alle, ihren Bleistifthasen auf die Leinwand zu bannen. Jedenfalls fast. Mein Tierchen hat ziemlich spitze Ohren, irgendwas ist da beim Abpausen der Vorlage wohl verloren gegangen. Aber das macht nichts, so hat der kleine Kerl gleich eine individuelle Note.

Dürers Hase mal anders: Die farbenfrohe Interpretation von Künstlerin Irene Anding. © Roland Fengler

Beim anschließenden Hantieren mit Pinsel und Farbe zeigt sich ohnehin schnell, dass das von Irene Anding mitgebrachte Hasen-Bild nur als Inspiration dienen soll. Die einen fügen ihrem Bild noch ein paar Ostereier hinzu, die anderen lassen ihren Hasen weiß und stürzen sich auf den mehrfarbigen Hintergrund. Wieder andere versuchen, so wie ich, ein Stück weit der Vorlage nachzueifern — und haben am Ende dann doch ein ganz eigenes individuelles Bild. Erlaubt ist, was gefällt — Anding hat schließlich an jeden Platz auch noch eine Karte mit dem dazu passenden Motto gelegt: "Art has no rules" (Kunst kennt keine Regeln). Dennoch lernen wir an diesem Abend so einiges, zum Beispiel, dass sich feine Linien sehr gut mit einem großen Pinsel malen lassen. Und dass wir nicht zu viel Farbe auf einmal nehmen sollen.

Sanfte Übergänge

Anding, die auch in ihrem eigenen Atelier diverse Kurse anbietet, zeigt uns, wie auf der feuchten Leinwand ein Aquarell entsteht und wie man Übergänge sanft gestalten kann. Wer sich nicht gleich ans eigene Original traut, kann schwere Pinselstriche sogar auf einer Testleinwand üben.

Redakteurin Silke Roennefahrt ist mit ihrem Werk zufrieden, auch wenn es nicht ganz an die Vorlage von Irene Anding heranreicht. © Roland Fengler

150 Artnights hat Anding in den vergangenen anderthalb Jahren veranstaltet, und es macht ihr immer noch Spaß. Zu sehen, wie die Menschen ihre Kreativität wieder entdecken, die kleine Auszeit genießen und etwas Greifbares mit nach Hause nehmen, das gefällt der Nürnbergerin. "Die Leute kriegen den Kopf frei dabei." Und am Ende schaffen es alle, ein schönes Bild zu gestalten. Auch mit meinem Hasen kann ich mich anfreunden. Er erinnert zwar nur entfernt an die professionelle Vorlage, dennoch hängt er daheim an der Wand. Ein bunter Hingucker ist er allemal.

Oft ausgebucht

Die Motive wechseln, das Grundprinzip aber ist immer gleich: Bei einer Artnight trifft man sich in Ateliers oder Lokalen und malt nach der Vorlage eines professionellen Künstlers und mit dessen Hilfe ein Bild. Material und Schürze werden gestellt, die Buchungen laufen über das Internet. Die Teilnahme kostet 34 Euro. Mit diesem Konzept haben die Berliner Gründer Aimie-Sarah Carstensen und David Neisinger enormen Erfolg, in Nürnberg sind die Veranstaltungen oft Wochen im Voraus ausgebucht.

Artnights gibt es zwei Jahre nach der Gründung bereits in 50 Städten in Deutschland und mehreren europäischen Ländern. Die 170 Künstler wurden an einer eigenen Akademie ausgebildet. Sie bieten die Workshops auf Wunsch auch geschlossenen Gruppen an — etwa als Firmenveranstaltung. Mehr Infos gibt es auf der Internetseite der Artnights.