Ausgegraben: Düsenjäger stürzte in Fabrik

6.4.2009, 00:00 Uhr
Ausgegraben: Düsenjäger stürzte in Fabrik

© U. Friedl

Doch an diesem 11. April um 16.31 Uhr ist alles anders. Der Bundeswehr-Slogan «Wir produzieren Sicherheit» verkehrt sich an diesem Nachmittag in sein Gegenteil, der Düsenjäger verwandelt sich in eine tödliche Gefahr für diejenigen, die eigentlich geschützt werden sollen. Das Flugzeug geht in Schräglage, dreht sich um seine Längsachse und stürzt ab. Die beiden Buben sehen Flammen hochschlagen und dichten schwarzen Rauch.

Brennendes Flugbenzin

Die Maschine ist drei Kilometer entfernt auf dem Gelände einer kleinen Fabrik in Bräuningshof aufgeschlagen. Die Werkhalle fängt sofort Feuer durch das freigesetzte Flugbenzin. Glück hatten elf Beschäftigte, die kurz zuvor in den Feierabend gegangen waren. Nur der 47-jährige Inhaber schaut noch nach dem Rechten. Der Mann erleidet schwerste Verbrennungen, an denen er wenige Tage später im Krankenhaus stirbt. Seine beiden Söhne, die sich im benachbarten Wohnhaus aufgehalten hatten, erleiden Brandverletzungen.

Die Trümmer zerstören auch das Haus eines Nachbarn. Eindringlich schildert der Reporter der Erlanger Nachrichten seine Eindrücke: «Der abstürzende Düsenjäger hat eine Haushälfte völlig wegrasiert. Was bleibt sind brennende Trümmer. Die Frau des Installateurs - er befindet sich zur Zeit des Unglücks noch auf der Arbeit - ist gerade beim Kaffeetrinken ein Haus weiter. Ihr passiert nichts - wenn man es überhaupt so ausdrücken darf.»

Schaulustige behindern Feuerwehr

Die Feuerwehren brauchen mehrere Stunden, um die Flammen unter Kontrolle zu bringen. Über der Unglückstelle kreisen Helikopter, die Polizei sperrt das Gelände ab. Doch genauso schnell wie die Helfer sind die Schaulustigen, so dass sich die Rettungsfahrzeuge langsam zur Unfallstelle vorkämpfen müssen.

Der Pilot der Phantom gilt zunächst als vermisst. Erst am Morgen nach dem Unglück finden Rettungskräfte seinen Leichnam in einem Teil des Flugzeugrumpfs der unter einer eingestürzten Mauer begraben ist. Der hinten im Flugzeug sitzende Kampfbeobachter hatte noch versucht, sich mit dem Schleudersitz zu retten. Doch wurde er waagerecht aus der Kanzel katapultiert und prallt zunächst gegen einen Baum und dann gegen eine Hauswand. Er stirbt am Unfallort.

Flugzeug galt als zuverlässig

Wie hatte das Unglück geschehen können? Die Phantom galt als ein sehr zuverlässiges Flugzeug, war eines der weltweit am weitesten verbreiteten Kampfflugzeuge. Allein die Bundeswehr hatte 253 Maschinen gekauft, von denen bis 1979 lediglich zehn abgestürzt waren. Zum Vergleich: Von 916 Starfightern verlor die Bundeswehr fast ein Drittel durch Unfälle.

Der Pilot der Unglücksmaschine galt als sehr zuverlässig. Der 36-Jährige war mit über 2100 Flugstunden einer der erfahrensten Flugzeuglenker des Aufklärungsgeschwaders 51 «Immelmann» der Bundesluftwaffe, das bis 1993 in Bremgarten bei Freiburg stationiert war. Der nächste Karrieresprung des begabten Offiziers stand kurz bevor: Er war vorgesehen als Fluglehrer für den Jagdbomber Tornado, dessen Erprobungsphase gerade abgeschlossen war.

Verunglückter Fliegergruß?

Und doch wurden bald Vermutungen laut, ein leichtsinniger Flugfehler habe die Katastrophe ausgelöst. Denn der Pilot stammte selbst aus Bräuningshof, seine Mutter wohnte nur wenige Meter von der Absturzstelle entfernt. «Er ist öfters über Bräuningshof geflogen», sagte sie nach dem Unglück.

Hatte der also mit einem gewagten Manöver seinen Angehörigen «Hallo» sagen wollen und dabei die Kontrolle über die Maschine verloren? Tatsache ist, dass das Flugzeug sich außerhalb des eigentlichen Flugkorridors befand. Nüchtern und bürokratisch resümiert der offizielle Untersuchungsbericht der Bundeswehr: «Im Rahmen eines Aufklärungstieffluges brachte der Luftfahrzeugführer das Luftfahrzeug beim Anflug auf ein selbstgewähltes Aufklärungsobjekt unterhalb der zugelassenen Mindestflughöhe in einen unkontrollierten Flugzustand, den er nicht mehr beheben konnte.»

Doch über die letzten Minuten der Phantom und weshalb sie die vorgeschriebene Route verließ, kann man nur spekulieren. «Die offizielle Untersuchung trägt keine gesicherten Kenntnisse bei, da die Luftfahrzeuge zur damaligen Zeit nicht mit Aufzeichnungsgeräten im Cockpit ausgestattet waren», beantwortet die Pressestelle der Luftwaffe eine Anfrage von NN-Online.

"Die Erinnerung kommt immer wieder"

Augenzeuge Roland Bartsch hat das Unglück längst abgehakt, als eines unter vielen Kindheitserlebnissen. «Ich bin beruflich ein Vielflieger, oft im Ausland», erzählt er.

Auch in Bräuningshof scheint die Welt wieder in Ordnung. Die Firma Herbert Bauerfeind gibt es noch heute. Sie stellt Stimmpfeifen für Saiteninstrumente her. Bereits vier Wochen nach der Katastrophe verließ eine erste Lieferung das Not-Domizil, ein halbes Jahr später feierte man Richtfest für ein neues Gebäude. Heute führt Stefan Bauerfeind, der bei dem Unglück verletzt wurde, die Firma. Doch er sagt: «Die Erinnerung daran kommt immer wieder hoch.»

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