Auslöser für die Vertreibung

11.9.2008, 00:00 Uhr
Auslöser für die Vertreibung

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«Ich werde . . . unter keinen Umständen gewillt sein, einer weiteren Unterdrückung der deutschen Volksgenossen in der Tschechoslowakei in endloser Ruhe zuzusehen. Herr Benesch betreibt Taktik . . . Was die Deutschen fordern, ist das Selbstbestimmungsrecht, das jedes andere Volk auch besitzt. . . . Ich bin auch keineswegs gewillt, hier mitten im Herzen Deutschlands durch die Tätigkeit anderer Staatsmänner ein weiteres Palästina entstehen zu lassen. Die armen Araber sind wehrlos und vielleicht verlassen. Die Deutschen in der Tschechoslowakei sind weder wehrlos, noch sind sie verloren.»

Mit seiner Rede auf dem Nürnberger Reichsparteitag am 12. September 1938 spricht Hitler einen Vorgang an, der - nach fast kriegerischem Zwischenspiel - drei Wochen später zum so genannten Münchner Abkommen führt. Der am 30. September zwischen den Regierungschefs Deutschlands, Italiens, Großbritanniens und Frankreichs geschlossene Vertrag ermöglicht zum 1. Oktober 1938 die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete mit mehr als drei Millionen Einwohnern an Deutschland. Polen «holt sich» dabei das Gebiet um Teschen, und Ungarn holt sich die Südslowakei. Das baldige Ende der 1918 gegründeten CSR, die nach den Vorstellungen der damaligen Sieger eine Schweiz des Ostens werden sollte, war damit eingeläutet.

Freilich waren all dem zwei Jahrzehnte vorangegangen, in denen sich das Staatsvolk, nämlich Tschechen und Slowaken, keineswegs um ein friedliches Nebeneinander bemühten. Trotz der Sprachgesetze wurden Angehörige anderer Ethnien in Böhmen und Mähren diskriminiert. Benesch sagt es frei heraus, dass die «Tschechisierung unserer deutschen Gebiete» sich automatisch vollziehe «durch den natürlichen Bevölkerungsaustausch und die Vermischung der deutschen und der tschechischen Bevölkerung».

Die Idee des amerikanischen Präsidenten Wilson, der beim Zerbrechen der k.u.k. Monarchie 1918 die Selbstbestimmung der Völker propagiert hatte, war von Anfang an eine Vision, die an der Wirklichkeit des Lebens in Böhmen und Mähren scheiterte. Hitler war es dann, der die westlichen Großmächte dazu brachte, den Sudetendeutschen die schon lange erwünschte «Heimkehr ins Reich» zu ermöglichen. Es war der bis dahin größte außenpolitische Erfolg Hitlers.

Er hatte allerdings eine Verhandlungslösung vermeiden wollen und bei den Treffen mit dem britischen Premier Chamberlain in Berchtesgaden (15. 9.) und in Bad Godesberg (22. bis 24. 9.) immer härtere Forderungen bezüglich des Abtretungsmodus erhoben. Eigentlich wollte Hitler schon damals einen Anlass zum Krieg.

In München gelang dann der Durchbruch. Anders als das «peace in our time» Chamberlains hatte Hitler später das Ergebnis der Abtretung dahin gewertet, dass man ihm die Möglichkeit des Krieges genommen habe. Der britische Oppositionsführer Churchill, der das Abkommen als eine «durch nichts gemilderte Niederlage wertete, prophezeitete in seiner Unterhausrede am 5. Oktober 1938 schon, dass der tschechoslowakische Staat fortan nicht als ein unabhängiges Gemeinwesen erhalten werden könne und im Laufe der Zeit, vielleicht nach Jahren, vielleicht nach Monaten «von dem Naziregime verschlungen werden wird . . . Wir stehen jetzt einer Katastrophe ersten Ranges gegenüber... Glauben Sie nicht, dass dies das Ende ist. Das ist erst der Beginn der Abrechnung, bloß der erste Schluck, der erste Vorgeschmack des bitteren Trankes, der uns Jahr für Jahr vorgesetzt werden wird.»

Wenig später, am 21. Oktober 1939, gab Hitler die Weisung: «Es muss möglich sein, die Rest-Tschechei jederzeit zerschlagen zu können, wenn sie etwa eine deutsch-feindliche Politik betreiben würde.» Gleichwohl erklärte er bei einer Rede im Berliner Sportpalast am 26. November: «Dies ist die letzte territoriale Forderung, die ich in Europa geltend zu machen habe.» Der Präsident der CSR Emil Hácha bemühte sich um Ausgleich (und wurde deshalb 1945 als deutscher Kollaborateur in Prag vor dem Beginn eines Strafprozesses im Gefängnis ermordet).

Doch sein Bemühen war vergebens. In der Nacht zum 15. März 1939 wurde er in Berlin gezwungen, sein Einverständnis zum Anschluss der «Resttschechei» an Deutschland zu geben. Hitler und Göring hatten mit Luftangriffen auf Prag und anderen Repressalien gedroht. Hácha gab nach. Proteste der Großmächte folgten, waren aber folgenlos. Und so begann das Unheil, das nach dem Zweiten Weltkrieg zur brutalen Vertreibung von mehr als drei Millionen Deutschen - und einer halben Million Ungarn - aus dem Gebiet der CSR führte.

In seiner Weihnachtsansprache 1945 erklärte Staatspräsident Benesch, wieder im Amt: «Das diesjährige Weihnachtsfest bekommt seine besondere Bedeutung dadurch, dass wir es in einem Vaterland erstmals ohne Deutsche feiern.»

Und die zehn so genannten Benesch-Dekrete vom Sommer 1945, mit denen die Vertreibung und Ermordung vieler Deutscher in den Jahren 1945 bis 1947 gerechtfertigt werden, sind noch heute ein Schatten über dem Verhältnis zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik.

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