Autonomes Fahren: Forscher prophezeien weniger Unfälle

28.9.2018, 10:16 Uhr
Schon jetzt können moderne Autos mehr, als sie dürfen - während der Mensch am Steuer oft mehr Verantwortung trägt, als es seinen Fähigkeiten entspricht.

© Andrey Suslov/istockphoto.com Schon jetzt können moderne Autos mehr, als sie dürfen - während der Mensch am Steuer oft mehr Verantwortung trägt, als es seinen Fähigkeiten entspricht.

Autonomes Fahren, vom Computer gesteuerte Autos – diese Vorstellung finden viele unheimlich. Wer jedoch auf der Straße unterwegs ist, könnte manchmal auch an der Menschheit verzweifeln. Die Leute schlafen oder hetzen, protzen und pöbeln am Steuer. Ist die Maschine doch besser als der Mensch?

Als Autofahrer agieren viele Menschen ohnehin wie ein scheinbar gefühlloser Automat, ohne Empathie für andere. Der Verkehrssoziologe Alfred Fuhr erklärt das unsoziale Verhalten am Steuer: "Gerade auf längeren Strecken kommt man leicht in einen sogenannten Flow, man fährt wie auf einem Leitstrahl", sagt er im NZ-Gespräch. "Durch den Komfort moderner Autos wird das begünstigt, man fühlt sich wie in einem rollenden Wohnzimmer. Die Denke ’hoffentlich passiert nichts’ entfällt. Was stört, wird ausgeblendet."

Der Verkehrssoziologe Alfred Fuhr.

Der Verkehrssoziologe Alfred Fuhr. © dpa

Das ist nicht nur bei Egoisten so: "Beim Autofahren müssen Gehirn und Körper unglaublich viele Reize verarbeiten. Als Reizschutz filtert das Gehirn unbewusst vieles aus", erklärt Fuhr. "Dinge oder Personen, die für den Fahrer keine Gefahr darstellen, sieht er deshalb oft nicht." In Unfallprotokollen heißt es dann, ein Fußgänger oder Radfahrer sei wie aus dem Nichts aufgetaucht.

"Es gibt aber auch viele Fahrer, die sind beim Einsteigen schon angekommen", so beschreibt Fuhr die Gedankenlosigkeit im Verkehr. Und genau so soll die Zukunft aussehen: Einsteigen, ankommen, fertig. Die Fahrt übernimmt das Auto selbst. Dank Kameras und Sensoren sieht es besser als der Mensch. Es wird nicht müde und lässt sich nicht ablenken. Es kennt kein riskantes Imponiergehabe, konsumiert weder Alkohol noch Drogen und wird auch nicht durch Krankheiten oder Medikamente in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Aber: Im Verkehr der Zukunft müssen Maschinen und Menschen miteinander kooperieren. "Und in diesen Situationen sind alle durch die Technik ausgeglichenen menschlichen Schwächen wieder da", sagt Fuhr.

Dieses Problem betrifft insbesondere die aktuelle Entwicklungsphase des autonomen Fahrens: Es gibt schon einige Fahrzeugmodelle, die per Autopilot fahren können. Der Fahrer muss aber jederzeit eingreifen können. "Untersuchungen zufolge darf es nur eineinhalb bis drei Sekunden dauern, bis der Fahrer die Kontrolle übernimmt. Doch es gibt Experimente, da brauchen die meisten Leute viel länger, manche auch 13 oder sogar 18 Sekunden", berichtet Fuhr.

Der Verkehrssoziologe ist daher skeptisch, ob das autonome Fahren wirklich kommt. Optimistischer sieht es der Zukunftsforscher Bernd Flessner von der Uni Erlangen: "Klar, es gibt immer Konfliktpotenzial und Missverständnisse, wenn Mensch und Maschine zusammen agieren müssen", sagt Flessner. "Trotzdem werden wir das autonome Fahren bekommen."

Der Zukunftsforscher Dr. Bernd Flessner.

Der Zukunftsforscher Dr. Bernd Flessner. © Andreas Riedel/FAU-Erlangen-Nürnberg

Auch ans Handy mussten wir uns gewöhnen

Als einst die ersten Autos über holprige Straßen rumpelten, gab es weder Ampeln noch Führerscheinprüfungen. Flessner vergleicht die Entwicklung des Autoverkehrs mit dem Mobiltelefon: "Die Gesellschaft hat etliche Jahre gebraucht, bis sie sich an den Umgang mit dem Handy gewöhnt und sich auf die Veränderungen im Alltagsleben eingestellt hat. Der Übergang zum Smartphone war leichter."

Flessner rechnet damit, dass es rund zehn Jahre dauern wird, bis sich die Gesellschaft an die neue Technik im Straßenverkehr gewöhnt. "Die jüngere Generation wird so aufwachsen und leichter damit umgehen. Ein älterer Pilot staunt ja auch, wenn er sich in einen modernen Kampfjet setzt. Aber das alles lässt sich lernen. Die Fahrschulen werden zu einem Schlüsselfaktor." Die Gesellschaft wird Flessner zufolge irgendwann das klassische Autofahren verlernen: "Die Jüngeren kennen dann nur das Display, nicht mehr das Lenkrad."

Technisch gesehen geht die Entwicklung autonomer Autos rasant voran, aber es gibt noch viele ungeklärte rechtliche und ethische Fragen. Für einige kann es vielleicht auch gar keine Lösung geben. Etwa für Dilemma-Situationen: Was soll der Computer tun, wenn er bei einem Ausweichmanöver nur noch die Wahl hat, ob das Auto ein Kleinkind oder einen Senioren gefährdet?

In der aktuellen Testphase kommt es objektiv gesehen selten, aber doch immer wieder zu Unfällen. Schlagzeilen machte insbesondere ein tödlicher Zusammenstoß mit einem Fußgänger in den USA. "Im Vergleich zu den Unfällen, bei denen Menschen das Auto steuern, werden die Zahlen aber sinken." Dennoch sieht Flessner die Entwicklung auch mit Skepsis: "Das grundsätzliche Problem des Zusammenwirkens von Mensch und Maschine bleibt. Und auch die Technik kann versagen. Es kann immer wieder Materialfehler geben, oder Softwarefehler. Wir Menschen haben das ja gebaut."

Fünf Level bis zum Ziel

Auf dem Weg vom fahrergesteuerten Auto zum autonomen Fahren gibt es fünf Levels (Stufen). Viele moderne Wagen der Oberklasse befinden sich bereits auf Stufe 2, wo teilautomatisierte Systeme einige Funktionen übernehmen können, etwa die Spurführung oder das Einparken. "Es gibt auch schon Fahrzeuge der Stufe 3, zum Beispiel von Tesla oder den Audi A8", sagt Ramin Tavakoli Kolagari, Leiter des Forschungszentrums für autonomes Fahren an der Technischen Hochschule Nürnberg. Ein YouTube-Video von Audi sehen Sie hier.

Der Leiter des Forschungszentrums für autonomes Fahren an der TH Nürnberg, Ramin Tavakoli Kolagari.

Der Leiter des Forschungszentrums für autonomes Fahren an der TH Nürnberg, Ramin Tavakoli Kolagari. © TH Nürnberg

Mit diesen Fahrzeugen ist das sogenannte hochautomatisierte Fahren möglich: Der Fahrer darf sich unterwegs auch kurz mit anderen Dingen befassen, muss aber jederzeit in Lage sein, einzugreifen. Mit Einschränkungen ist diese Funktion heute schon nutzbar, etwa als Staupilot, wenn das Tempo auf der Autobahn geringer ist als 60 km/h. "Die nächste Stufe 4 bedeutet dann, dass sich der Fahrer auch länger abwenden kann. Technisch ist das jetzt schon möglich, in Kalifornien wird es bereits eingesetzt. Hier ist das noch nicht erlaubt, es wird in Europa wohl erst 2020 oder 2021 möglich sein."

Auf Stufe 5 folgt das Robotertaxi ohne Lenkrad: "Der Mensch sagt nur noch, wohin er fahren will. Ich denke, dass im Jahr 2030 rund 15 Prozent aller Neuzulassungen solche autonomen Fahrzeuge sind", sagt Kolagari. "Bis dahin dürften die juristischen Hürden genommen sein." Schwierig wird ihm zufolge aber die Zwischenphase, in der sich Menschen und Maschinen als Verkehrsteilnehmer arrangieren müssen. "Autonome Systeme vermeiden 90 Prozent der menschlichen Schwächen wie Müdigkeit. Dafür tun sie sich oft schwer, wenn sie mit menschlichen Fehlern konfrontiert werden", sagt Kolagari. "Aber die Systeme lernen dazu."

Die Technik ist bereit. Bleibt die Frage, wie viel Kontrolle der Mensch abgeben kann – und will.

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