Experten ordnen ein

Bahnstreik der Superlative: Wie weit darf die GDL gehen?

Isabel Pogner

Online-Redaktion

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24.1.2024, 06:00 Uhr
Ein Lokführer steigt am Berliner Hauptbahnhof in seinen Führerstand - viele Kollegen bleiben den Loks ab Mittwoch fern. 

© Christoph Soeder, dpa Ein Lokführer steigt am Berliner Hauptbahnhof in seinen Führerstand - viele Kollegen bleiben den Loks ab Mittwoch fern. 

Sechs Tage Ausstand: Mit dem neuen Streik bei der Deutschen Bahn (DB) geht die Lokführergewerkschaft GDL in die absolute Konfrontation - und bremst die komplette Nation aus. Noch nie traf ein Streik der Gewerkschaft die Republik so lange.

Für Millionen Pendlerinnen und Pendler, Schulkinder, Urlaubsreisende, Menschen mit Terminen und Freizeitfahrende bedeutet das für fast eine Woche: Umplanen, Arzttermine verschieben, aufs Auto umsteigen, Familientreffen absagen, zu Hause bleiben. Ebenso hart trifft es den Güterverkehr: Autobauer, die auf Lieferungen angewiesen sind, Raffinerien auf Öl-Transporte, Chemiekonzerne auf Rohstoffe. Gibt es angesichts solcher Aussichten noch einen Ausweg vor dem Mega-Streik? Und was droht, wenn der Ausstand wieder keine Bewegung in den Tarifkonflikt bringt?

Das normale Ende eines Streiks ist die Einigung, im Rahmen eines Kompromisses - jede Seite geht auf die andere etwas zu", erklärt Steffen Klumpp, Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Während die DB jedoch seit November drei neue Angebote vorlegte, verweigerte die GDL bislang die Rückkehr an den Verhandlungstisch.

Dauer des Konflikts unklar

"Grundsätzlich könnten sie sich morgen schon einigen", sagt Klumpp. "Oder sie gehen in die Schlichtung, dann würde der Streik ausgesetzt werden. Oder die Bahn hält durch, bis die GDL aufhört zu streiken. Das kam bei anderen Arbeitskämpfen auch schon vor." Mit Blick auf die bisherige Strategie der GDL hält Klumpp das aber für unwahrscheinlich. "Das Wahrscheinlichste ist die Einigung, vielleicht unter Einbezug einer Schlichtung." Bei letzterer würde eine neutrale Person versuchen, zwischen beiden Parteien zu vermitteln. Das sind häufig Spitzenpolitiker.

Ob es dazu aber schnell kommt, ist fraglich. Die GDL lehnt eine Schlichtung weiterhin ab. "Und eine Zwangsschlichtung gibt es nicht", erläutert Klumpp. Ob die Streithähne einen Vermittler mit in die Lok holen, hänge schlicht an der Bereitschaft beider Seiten - und an der Streikmotivation der Arbeitnehmer.

Bleibt die hoch, kann sich der Streit noch lange ziehen: "Es gibt keine Vorgaben, wie lange perspektivisch gestreikt werden darf", sagt Klumpp. Außerdem seien die jetzigen Streiks noch befristet - das Ende ist also immer angekündigt. Eine weitere Eskalationsstufen wäre ein Streik mit unklarer Dauer. Klar ist nur: Bahnstreiks kosten die Volkswirtschaft Geld - und die Gewerkschaft ebenso. Die GDL zahlt ihren Mitgliedern Streikgeld, laut Klumpp maximal 100 Euro am Tag. Je länger der Ausstand also dauert, desto leerer wird die Kasse.

Die sei aber wohl noch gut gefüllt, schätzt Lukas Iffländer, stellvertretender Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. Denn im Zweifel werde die GDL auch von ihrem Gewerkschafts-Dachverband unterstützt.

Bahn zieht vor Gericht den Kürzeren

Auch mit einer Klage dürfte die Bahn schlechte Karten haben. Vorherige Gerichtsverfahren verlor die DB. "Vor dem Hintergrund der jetzigen Rechtsprechung wäre das nicht sehr zielführend", glaubt Arbeitsrechtler Klumpp. Die Frage, wie weit ein Streik gehen dürfe, würden die Gerichte meist zugunsten der Gewerkschaften auslegen. Entsprechend verkündete die Bahn auf Anfrage schon am Montag: "Die DB wird gegen den sechstägigen GDL-Streik keine Rechtsmittel einlegen."

Grundsätzlich gebe es juristisch für Streiks Einschränkungen, sagt Steffen Klumpp: Der Ausstand müsse erforderlich und geeignet sein, um ein Tarifergebnis zu erzielen. Allerdings liege die Einschätzung dafür, was erforderlich und geeignet ist, bei der Gewerkschaft. Und dann gebe es noch die Angemessenheit. Der Betrieb dürfe etwa nicht in Existenznot geraten. Da die DB aber ein Staatskonzern ist, sei das quasi unmöglich. "Interessen der Allgemeinheit spielen dagegen keine große Rolle", sagt Klumpp. Perspektivisch sei allerdings "interessant", ob sich hier die Rechtsprechung verändere. Immerhin treffe ein Bahnstreik die Bevölkerung deutlich stärker als der Stillstand bei einem Automobilzulieferer.

Für eine Lösung kommt es also weiterhin auf den Willen beider Seiten an. Bahnexperte Iffländer vermutet jedenfalls eine bestimmte Richtung: "Wir gehen davon aus, dass das Ganze ein Rückzuggefecht mit unbekannter Dauer seitens der DB ist. Die komplette Konkurrenz (andere Privatbahnen, Anm. d. Red.) hat abgeschlossen, die Frage ist, wie lange die DB noch durchhält."

Die GDL hat auf eine Anfrage des Medienhauses bislang nicht reagiert.

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