Boylesque-Workshop: Laszive Blicke und Rhythmus

24.7.2016, 06:00 Uhr
Ganz schön kess: Dee Dee Chanelle heißt eigentlich Martin Schnell und tanzt Boylesque – die Burlesque-Variante für Männer.

© Ralf Rödel Ganz schön kess: Dee Dee Chanelle heißt eigentlich Martin Schnell und tanzt Boylesque – die Burlesque-Variante für Männer.

Die Bühne ist in rotes Licht getaucht. Hinter einer Stellwand wartet DeeDee Chanelle auf ihren Einsatz. Als Kylie Minogues "Santa Baby" ertönt, blickt sie über die Wand, wirft dem Publikum mit ihrem roten Kussmund ein Lächeln zu und beginnt ihre Show. Chanelle trägt schwarze Plateaustiefel, halterlose Strümpfe und zeigt, nachdem sie sich ihrer roten Winterjacke entledigt hat, ein verführerisches schwarzes Korsett.

Mit rhythmischen Hüftbewegungen und lasziven Blicken spielt sie mit dem Publikum, welches sie, je mehr Haut sie zeigt, immer stärker anfeuert. Ganz langsam öffnet Chanelle den Reißverschluss ihres Korsetts und gibt den Blick frei auf ihre Brust. Jedoch nicht komplett, denn kleine, glänzende Stoffteile bewahren das letzte Geheimnis eines fast nackten Körpers.

DeeDee Chanelle hat eine klassische Burlesque-Nummer aufgeführt. Der erotische Tanz, der im Unterschied zum Striptease verführen und verzücken, jedoch nicht sexuell stimulieren soll, erfreut sich auch in Deutschland immer größerer Beliebtheit. Was Chanelles Darbietung besonders macht: Markante Kieferknochen, behaarte Beine und eine Männerbrust. DeeDee Chanelle heißt eigentlich Martin Schnell, ist 44 Jahre alt, Physiker von Beruf und Familienvater. Er hat an einem Burlesque-Workshop für Männer – "Boylesque" genannt – in der Tanzfabrik Nürnberg teilgenommen.

"Hier kann ich meine weibliche Seite ausleben und mit Rollenklischees spielen", erklärt Schnell, dem seine Frau den Workshopbesuch zum Geburtstag geschenkt hat. Etwas Bedenken hatte er im Vorfeld schon. "Wer geht da hin? Was erwartet mich?", fragte er sich.

Julia Kempken, bekannt als Burlesque-Tänzerin "Fleur d’Amour" und künstlerische Leiterin der Tanzfabrik Nürnberg und der Roten Bühne, erarbeitete mit dem Theaterpädagogen, Schauspieler und Regisseur Christian Schidlowsky und den Teilnehmern an zwei Tagen individuelle Bühnenshows. Das Ziel: Sich als ganz normaler Mann, auch ohne Chippendale-Figur, stilvoll erotisch präsentieren.

Christian Schidlowsky und Julia Kempken sind Pioniere auf diesem Gebiet. "Soweit wir recherchieren konnten, waren wir mit diesem Angebot bundesweit die ersten", berichtet Schidlowsky. Boylesque-Shows gibt es in Köln und auch im konservativen Polen, Wien hat sogar ein eigenes Boylesque-Festival.

Im vergangenen Jahr wurde der erste Boylesque-Workshop in Nürnberg durchgeführt. Die Tanzfabrik Nürnberg bietet schon seit längerem klassische weibliche Burlesque-Workshops an. Kempken und Schidlowsky fragten sich: Warum nicht auch für Männer? Laut Schidlowsky tue das auch Not. "Als Mann seine Männlichkeit oder Fraulichkeit zu präsentieren ist immer noch ein großes Tabu", sagt er. Der Wochenendkurs soll dabei helfen, auch die empfindlichen, verletzlichen Seiten der Männlichkeit zu entdecken.

Eduardo Schmidt kommt im Business-Outfit mit Rollkoffer auf die Bühne. "Meine Frau macht den besten Gurkensalat", sagt er. Eigentlich sei sie ja eine kleine graue Maus. Doch als Schmidt einmal seine sexuellen Vorlieben auf einem Sexkontakt-Formular ausfüllte und – ganz zufällig – in der Wohnung platzierte, ging seine Frau "so richtig ab". "Jetzt will sie, dass ich für sie tanze – Emanzipation, Gleichberechtigung, und so!" erklärt Schmidt Richtung Publikum. Dann ertönen die Rockriffs von "Time Warp" aus der "Rocky Horror Picture Show". Schmidt explodiert förmlich, steppt, läuft ins Publikum und entledigt sich im Laufe des Songs seiner Kleider.

Ein Stück Selbsterfahrung

Auch die Schuhe zieht er aus und riecht, unter dem johlenden Beifall der Zuschauer, an ihnen. Am Ende der Show verdeckt nur noch ein kleines Stück Kunstleder seinen Intimbereich, während der Hintern entblößt ist. "Eduardo, ich will ein Kind von dir", ruft ihm Dozent Schidlowsky zu.

Eduardo Schmidt wird dargestellt von Jochen Meilinger. Der 45-jährige Bauingenieur hat schon vergangenes Jahr den Workshop besucht. Damals präsentierte er eine weibliche Rolle. Heuer wollte er der Männlichkeit Platz einräumen. "Das ist sogar schwieriger, da man viel authentischer ist, weniger in einer fremden Rolle steckt", erklärt der mehrfache Familienvater. Ihn reize es zu sehen, wie man bei der Aufführung selbst reagiert – etwa auf Schamgefühle, wenn man sich vor Fremden auszieht. Es bereite ihm Freude, Menschen zu überraschen. "Meine Frau ist es gewöhnt, dass ich verrückte Dinge mache", sagt Meilinger.

Dass hinter einer Bur- beziehungsweise Boylesque-Aufführung viel Arbeit steckt, lernten die Teilnehmer bei Dozentin Julia Kempken. Sie zeigte unter anderem, wie man korrekte "shimmies" (Schüttelbewegungen) und "bumps and grinds" (kreisende Hüftbewegungen) durchführt und wie Mann beziehungsweise Frau erotisch läuft.

Christian Schidlowsky vermittelte Grundkenntnisse der Schauspielerei. Der Erfolg der Teilnehmer hat das Dozenten-Duo überzeugt. Die Absolventen sollen am 8. Oktober auf der "Big Boylesque Burlesque" Show in der "Roten Bühne" zusammen mit internationalen Künstlern auftreten.

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