Christkind Rebecca: "Die Leute sind frecher geworden"

20.12.2018, 12:11 Uhr
Lächeln, Papiersterne verschenken, Händchen halten: Hier verteilt Rebecca Ammon als Nürnberger Christkind in der Kinderklinik des Klinikums ihre Zuwendung.

© Foto: Roland Fengler Lächeln, Papiersterne verschenken, Händchen halten: Hier verteilt Rebecca Ammon als Nürnberger Christkind in der Kinderklinik des Klinikums ihre Zuwendung.

Die Verwandlung dauert eine Minute und findet in einem mollig beheizten Büro statt. Das Nürnberger Christkind stellt seine Krone aufs Regal. Hängt die Perücke an die Garderobe und das Kleid daneben. Der Chauffeur hilft mit der Schleife und dem Reißverschluss am Rücken. Zum Vorschein kommt Rebecca Ammon in Sportunterwäsche. Interviewtermin im städtischen Presseamt. Ohne Ornat sitzt es sich bequemer dabei.

Hier im Rathaus wundert sich niemand mehr, wenn das Goldwesen in einem Türrahmen auftaucht; die Stadtverwaltung ist sein Dienstherr und Markeninhaber. Anders ist das in Bäckereifilialen. Sie habe ihre wahre Freude daran, unterwegs aus dem Christkind-Bus zu hüpfen und sich im Kostüm einen Imbiss zu holen, erzählt die 18-Jährige. An Bratwurstsemmeln und Lebkuchen habe sie sich in ihrer ersten Amtszeit übergegessen. Diesmal weiche sie oft auf Backtheken aus. "Ungläubig und fast geschockt" staunten Verkäufer und Kunden sie dann an, zu perplex, um sofort das Handy zu zücken.

Wenn das Christkind dagegen auf dem Hauptmarkt erscheint, ist Schluss mit der Ehrfurcht. Im Hauen und Stechen ums beste Selfie rücken Besucher dem Mädchen auf den Leib. Und beschimpfen den Nebenmann, wenn der Kopf ins Bild ragt. Bei Bedarf sorgen deshalb jetzt zwei Sicherheitsmänner für Abstand. "Die ersten Marktbegehungen waren dieses Jahr echt stressig. Die Leute sind irgendwie frecher geworden", stellt Rebecca Ammon fest. "Oft greifen mir Erwachsene in meinen Korb, obwohl Sachen für die Kinder drin sind."

Es sei schwer, dann noch freundlich zu bleiben. "Ich rede Erwachsenen schon mal ins Gewissen. Wie sollen es denn die Kinder sonst lernen?" Auf der Kinderweihnacht habe eine Mutter sie angefaucht, sie möge "mehr lächeln". "Ich lächle ja die ganze Zeit. Aber viele Leute unterschätzen, dass ich auch mal harte Tage habe."

Zu den 150 Adventsterminen des Christkinds zählen viele Besuche bei kranken, auch todkranken Menschen. Zum Beispiel in Rheda-Wiedenbrück, Nürnbergs Weihnachtsmarkt-Partnerstadt in Nordrhein-Westfalen. Die Weihnachtsbotschafterin verteilte in einem Seniorenheim Papiersterne. Ein Bewohner wünschte ihr "Frohe Weihnachten". Baff erzählten ihr die Pfleger hinterher, dass der Mann seit Monaten kein Wort mehr gesprochen habe. "Das sind Momente, die einen an das Gute glauben lassen. So was bleibt. Man weiß, dass man viel bewirkt."

Oder einmal bei einem Mädchen auf der Erlanger Kinderkrebsstation. "Es hatte den ganzen Tag Bauchschmerzen, hat gejammert und geweint. Als es das Christkind gesehen hat, war das plötzlich vergessen." Während viele Kinder schlicht nicht fassen könnten, dass das Christkind ausgerechnet zu ihnen komme, sähen sich Ältere an ihre Kindheit erinnert, müssten vor lauter "Gefühlsbad" weinen, erzählt Rebecca. In Krankenhäusern gehe sie ohne Kopfzerbrechen jede Situation spontan an, in der Hoffnung, den Patienten eine kurze Alltagsflucht zu bieten. "Man sieht in ihren Augen, dass es hilft und sie wieder Mut gefasst haben. Und das ist unglaublich schön und bewegend."

Den Rummel um die Christkindfigur hält die junge Frau daher für weit mehr als nur Budenzauber. "Ich möchte etwas rüberbringen und ein Vorbild sein für manche Kinder. Ich möchte, dass diese ganze Tradition am Leben bleibt. Für mich ist es keine Show." Für viele Menschen gebe es an Weihnachten nun mal keine heile Welt. Das sehe sie an manchen Wunschzetteln, auf denen sich Kinder Frieden oder eine wiedervereinte Familie wünschen.

Die vielen kleinen Schlaglichter auf fremde Leben, traurige und fröhliche, wühlen auch Rebeccas Gefühlsleben auf. "Im Nachhinein und am Abend im Bett kommt alles wieder hoch." Nur die Sorge um die eigene Sicherheit ließ die Schülerin relativ kalt. Nach dem islamistischen Attentat auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt beschloss Rebecca Ammon schnell, sich weiter wohlzufühlen. "Ich habe erst mal gegoogelt, wie schnell Nürnberg bei der Suche nach Weihnachtsmärkten erscheint. Dann habe ich den Gedanken aber verworfen. Ich denke mir, das gehört einfach nicht in meinen Aufgabenbereich."

Noch bis Heiligabend muss die Privatperson Rebecca Ammon zurückstehen. Wenn sie nach dem letzten Auftritt mit der Familie zu Hause in Maiach Weihnachten mit Gänsebraten feiert, meldet sich der Alltag zurück. Freunde wiedersehen, ein Kurzurlaub noch über Silvester – aber dann wird die angehende Abiturientin des Schuckert-Gymnasiums den versäumten Schulstoff und Klausuren nachholen.

Das Christkind ist ein Ehrenamt. Materiell haben die Darstellerinnen nichts davon, von dargebrachten Weihnachtsbasteleien und -süßigkeiten abgesehen. Die 25. Amtsinhaberin freut sich über ein Autogramm von Sängerin Nena, die sie auf der "Sternstunden"-Fernsehgala traf, und fühlt sich trotzdem reich belohnt: "Für mich zählen am meisten die Erinnerungen. Und die bedeuten mir unglaublich viel, das merke ich daran, dass mir der Abschied jetzt zum Ende hin so schwerfällt."

Doch zunächst einmal darf Rebecca Ammon die Perücke und die Krone weiter aufsetzen. Sie schaut auf ihr Handy in den Terminplan. Am Nachmittag sind der Damenclub im Opernhaus, zwei Seniorenzentren, eine Weihnachtsfeier und der Weihnachtsmarkt in Lauf an der Reihe. Sie habe durch die vielen Begegnungen mit allen sozialen Schichten gelernt, die Gesellschaft aus vielen Blickwinkeln zu betrachten, stellt sie fest. "Irgendwie ist das alles ein Teil von mir geworden. Davon kann ich noch meinen Kindern und Enkelkindern erzählen. Die werden es auch gar nicht glauben. Oder einfach stolz sein."

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