Cirque du Soleil kommt nach Nürnberg: Das läuft hinter den Kulissen

24.9.2019, 06:00 Uhr
Cirque du Soleil kommt nach Nürnberg: Das läuft hinter den Kulissen

© Foto: Lucas Saporiti/Cirque du Soleil

Die drei kleinen Mädchen, ungefähr acht Jahre alt, adrette Kleidchen tragend, sitzen ganz weit vorne und schaufeln ohne größeres Innehalten Popcorn in ihre Münder, das sie in bemerkenswert großen Eimern jeweils auf dem Schoß platziert haben. Plötzlich halten sie ein, man sieht gar, wie eine Hand auf halbem Weg zwischen Eimer und Mund erstarrt, und verantwortlich dafür ist Santé Fortunato aus Vancouver, die gleich zu Beginn der Show zusammen mit zwei weiteren Artistinnen auf der Bühne etwas macht, das man so noch nie gesehen hat, selbst wenn man deutlich älter ist als die drei Mädchen.

Fortunato schwingt an einem gigantischen gläsernen Kronleuchter herum, teilweise hält sie sich scheinbar nur mit den Zehenspitzen an dem Lüster fest, es ist wirklich atemberaubend und außerdem ganz schön hoch. "Dabei hatte ich früher Höhenangst", erzählt die Kanadierin am nächsten Tag während des nachmittäglichen Warmmachens. "Anfangs habe ich die Tricks nur knapp über dem Boden geübt, dann den Leuchter langsam immer höher gezogen. Irgendwann ging es wie von selbst."

Die akrobatischen Anforderungen am Kronleuchter seien vergleichbar mit denen am Trapez, es sehe halt nur toller aus. "Beim 'Cirque du Soleil'", sagt sie, "machst du nicht einfach nur deine Nummer. Sondern du ordnest dich mit deinem Können ein ins große Ganze."

Santé lebte mehrere Jahre in Münster und trat in Deutschland in verschiedenen Varietés auf. Als sie 2017 jene Zirkusschule in Montreal besuchte, auf die das dort ansässige, 1984 von zwei Straßenkünstler gegründete und heute mit rund 5000 Mitarbeitern und mehr als 20 parallelen Produktionen an unterschiedlichsten Standorten weltweit erfolgreichste Zirkusunternehmen seine Neuverpflichtungen schickt, "kam ich mir vor, als müsste ich wieder ganz von vorne anfangen. Doch ich habe hier wirklich wahnsinnig viel gelernt."

Artisten aus 18 Ländern

Neben Santé, die auch eine Nummer mit Hula-Hoop-Reifen aufführt, agieren 51 weitere Artisten und Clowns aus 18 Ländern in "Corteo", dazu acht Live-Musiker. Was sie gemeinsam in den knapp zwei Stunden auftischen, ist ein Festschmaus für alle Sinne – grandios, überwältigend, berührend und auf jeden Fall dazu geeignet, sämtliche parallele Ess- und Trink-Tätigkeiten einzustellen. Auch am Handy daddelt kaum jemand an diesem Abend in der "Agganis Arena" in Boston, wo die Show zwei Wochen lang gastierte.

"Corteo", was auf Italienisch Parade, Festzug oder Prozession bedeutet, basiert – recht locker – auf den Lebenserinnerungen des soeben dahingeschiedenen Clowns Mauro (gespielt von Lolo Fernandez), der noch in einer Welt zwischen Erde und Himmel steckt, auf fliegende Engelchen trifft, die ihm seine Flügel anhängen und der sich in einer Art Trance zu früheren Erlebnissen träumt. Jene Chandelier-Swingerinnen aus besagter Eingangsszene sind etwa seine einstigen Geliebten.

Die Bühne, auf der das von Daniele Finzi Pasca erdachte, 2005 uraufgeführte und dafür, dass man es mit einer Beerdigung zu tun hat, sehr lustige Stück spielt, steht in der Mitte der Arena, ein Novum für "Cirque"- Produktionen. Als Zuschauer ist man wirklich im Zentrum des wilden Treibens. Wie immer lässt sich der Cirque akrobatisch nicht lumpen, zwei Männer auf einer Wippe hüpfen sich beinahe um Kopf und Kragen, auch gibt es Jungs und Mädels, die auf Betten herumspringen, weitere Künstler tanzen an Stangen, werfen sich durch die Luft, jonglieren oder balancieren eine fünf Meter hohe Leiter hinauf.

Traumhafte Bildsprache

Doch die vielleicht noch größere Stärke dieser Produktion ist die im wörtlichen Sinne traumhafte Bildsprache. Es ist einfach schön anzuschauen, wie Mauro am Ende etwa in den Himmel radelt, die Kostüme und das ganze Szenenbild sind grob im mediterranen Raum gegen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt, wie immer ist jedes Detail perfekt und liebevoll bis verspielt umgesetzt.

Cineasten denken an die Filme eines Federico Fellini, Musikliebhaber entdecken Flamenco, Chanson, irische Weisen und schottischen Dudelsack, traditionelles italienisches Liedgut und vieles mehr.

Immer wieder wird die Hochleistungsartistik durch hübsche Geplänkel aufgelockert. Als Mauro eine kleinwüchsige Clownin – hängend an Heliumballons, deren Füllmenge täglich nach dem Einwiegen der Clownin optimiert wird – weit ins Auditorium stupst und die Leute sie langsam wieder zurück zur Bühne schieben (die Nummer erinnert an bekifftes Stagediving), dauert das zwar seine Zeit. Aber es wird nie fad. "Wir spielen in 'Corteo' keine Wesen oder Objekte", sagt Alexandr Yudintsev, Trampolin-WM-Teilnehmer aus Kasachstan, "sondern Menschen. Richtige Menschen mit Gesichtern, Ausstrahlung und Gefühlen."

Mit letzteren kennt sich Alexandr Yudintsev sowieso bestens aus. Im August hat er seine Freundin, die Kronleuchter-Tänzerin Santé Fortunato, geheiratet. Kennengelernt hat man sich selbstverständlich bei "Corteo", die permanente Klassenfahrtatmosphäre dieses reisenden Zirkus‘ begünstige das Sich-ineinander-Verlieben. "So ist das Leben", sagt er grinsend. Fortan reisen die beiden als Ehepaar durch das magische Zwischenreich Richtung Himmelspforte.

Die Show gastiert zwischen dem 6. und dem 10. November in der Arena Nürnberger Versicherung. Karten bei den Vorverkaufsstellen unseres Hauses oder unter Tel.: 09 11/216 2777.

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