Club-Graffiti sorgen in Nürnberg für Ärger

31.3.2021, 05:54 Uhr
Nicht zu übersehen: Die Sprayer suchen sich für ihre Botschaften gezielt Bauwerke aus, an denen viele Menschen vorbeikommen. So auch an einer Bahn-Unterführung am Rangierbahnhof.

© Michael Matejka, NNZ Nicht zu übersehen: Die Sprayer suchen sich für ihre Botschaften gezielt Bauwerke aus, an denen viele Menschen vorbeikommen. So auch an einer Bahn-Unterführung am Rangierbahnhof.

Christian Lutzky ist Eigentümer eines Wohnhauses in der Rothenburger Straße, direkt am Bahndamm. Von der S-Bahn-Haltestelle "Rothenburger Straße" aus ist die Sicht auf die fensterlose Fassade seines mehrstöckigen Gebäudes frei. Eine Fläche, die unerwünschte Personen als Einladung verstanden haben, um ihre Botschaft zu hinterlassen. Die Graffiti zeigen sich jedem Fahrgast, der hier im Zug vorbeifährt: "BDA" (Banda di Amici) und "UN94" (Ultras Nürnberg).

"Diese Schmierereien mit Fußballbezug sehen grauenhaft aus", grollt Lutzky. Seinem Ärger machte er sich in sozialen Netzwerken Luft, inklusive einer ordentlichen Portion Sarkasmus und Ironie: "Danke für diese beiden wunderschönen Graffiti an einem denkmalgeschützten Haus. Ich krieg mich gar nicht ein vor Begeisterung!" Rund 5000 Euro muss er jetzt in die Hand nehmen, um das überstreichen zu lassen. "Es gibt keine Versicherung, die das zahlt." Anzeige hat der 45-Jährige bei der Polizei erstattet. Doch Mut haben ihm die Beamten nicht gemacht: Ist erst einmal frisch gestrichen, müsse er damit rechnen, dass bald neue Graffiti an der Wand prangen.

Über den Köpfen hängen die Oberleitungen

Wie die Club-Ultras aber den größten etwa 1,5 Meter hohen und rund vier Meter breiten Schriftzug in mehreren Metern Höhe auf die Fassade brachten, kann Lutzky nur vermuten: "Ich denke, die haben dafür Leitern und Teleskopstangen verwendet." Dafür mussten sie auf das Bahngelände steigen, das an die fensterlose Hausmauer direkt angrenzt.

Die Aktion war also nicht ungefährlich: Hier fahren viele Züge und über den Köpfen spannen sich die Oberleitungen. Doch scheint diese Gefahr auch der Kitzel zu sein, den die Sprayer suchen. Auf YouTube kursieren Clips, die das belegen. In einem klammert sich eine vermummte Person an den Triebwagen einer S-Bahn, während der Fahrt sprüht sie ein "FCN" auf die Lok. Im Hintergrund ist die Tafel des Haltepunktes "Nürnberg-Sandreuth" zu erkennen. "BackJump" wird das im Szene-Jargon genannt, wenn man auf ein bewegliches Objekt springt und es besprüht. In weiteren Clips schleichen sich Gestalten an Waggons heran, hinterlassen an Außenwänden und Scheiben ihre Motive und Tags, also die Signatur des Verursachers.

Sachschaden: 40 Millionen Euro

Doch um das Erfolgserlebnis der Sprayer zu schmälern, aber auch im "Interesse der Kunden", versucht die Bahn Graffiti "so schnell wie möglich zu entfernen". Dafür gibt sie sich einen zeitlichen Rahmen von 24 bis 72 Stunden. "Wir setzen alles daran, besprühte Züge sofort aus dem Betrieb zu nehmen und zu reinigen", sagt ein Bahnsprecher. Doch einfach ist das nicht. Denn die beschmierten Züge müssen zunächst ihren Weg in eine der speziellen Werkstätten antreten und durch einen anderen Zug ersetzt werden. "Die Auswirkung auf die Kunden soll dabei möglichst gering bleiben."

Selbst vor dem Bahngelände machen die Sprayer nicht halt: Graffiti an einer Lok und Waggons, die unter der Jansenbrücke stehen.  

Selbst vor dem Bahngelände machen die Sprayer nicht halt: Graffiti an einer Lok und Waggons, die unter der Jansenbrücke stehen.   © Michael Matejka, NNZ

Aus einer Statistik der Bahn für das Jahr 2019 geht hervor, dass durch Vandalismus und Graffiti bundesweit ein Schaden in Höhe von 40 Millionen Euro entstanden ist. Graffiti ist dabei der Schwerpunkt der Vandalismusdelikte. Betroffen sind vor allem S-Bahnen, Nahverkehrs- und Güterzüge, Brückenpfeiler, Bahnsteigzugänge und Lärmschutzwände. Um etwa einen Nahverkehr-Triebwagen zu reinigen, stellt die Bahn einen ganzen Arbeitstag lang zwei bis drei Fachkräfte ab. "Neben der Entfernung als solcher können mit der Zeit auch Folgeschäden in der Lackierung der Fahrzeuge entstehen. Wenn dann eine komplette Neulackierung erforderlich wird, schlägt diese bei einem Triebwagen mit bis zu 30.000 Euro zu Buche und dauert rund sieben Tage", sagt der DB-Sprecher.

Fast 200 Delikte in Nürnberg mehr als im Vorjahr

Klar ist: Die Reinigung ist auch eine Belastung für die Umwelt. Eine Belastung, die das Unternehmen so klein wie möglich halten will. "Das Abwasser wird aufgefangen und aufgearbeitet. Sämtliche Farb- und Chemikalienrückstände werden aufgefangen und fachgerecht entsorgt."

Ob private Gebäude, Anlagen der Bahn oder Objekte der öffentlichen Hand in den Kommunen – die Täter nutzen alle Flächen, an denen viele Menschen vorbeigehen oder vorbeifahren. So auch auf der Südwesttangente in Nürnberg. Wer etwa auf der Schnellstraße zwischen Fürth und Nürnberg-Hafen unterwegs ist, fährt durch ein nicht enden wollendes Spalier von Graffiti-Botschaften mit Fußballbezug an Brückenpfeilern und Überführungen.Aus der Statistik der Polizei geht hervor, dass in Nürnberg Sachbeschädigungen durch Graffiti um fast 200 Fälle gestiegen sind: von 584 Fällen in 2019 auf 772 Fälle im vergangenen Jahr. 2020 ist laut Polizeipräsidium dabei ein Gesamtsachschaden in Höhe von rund 470.000 Euro entstanden.

Die Fußballstadien sind in Pandemie-Zeiten leer. Suchen sich manche eingeschworene Fans jetzt verstärkt andere Wege, um auf sich aufmerksam zu machen? "Nach Gesprächen mit der Polizei ist davon auszugehen, dass viele Täter wohl Langeweile haben, weil aktuell die Stadien zu sind", sagt Nadine Francke, Sprecherin des Servicebetrieb öffentlicher Raum (Sör).

Polizei ermittelt 76 Tatverdächtige

Anders als bei der Bahn entfernt die Stadt aber Graffiti nicht sofort. "Für eine flächendeckende Beseitigung reichen die Kapazitäten von Sör nicht aus." Mit einer Einschränkung: "Nazi-Parolen und Symbole, rassistische Verunglimpfungen oder menschenrechtsverletzende Äußerungen werden umgehend beseitigt."

Allerdings gilt für alle derartigen Schmierereien: Es sind Straftaten. "Die Stadt bringt jeden Fall zur Anzeige", so Francke. 2020 hat die Polizei 76 Tatverdächtige ermittelt. In Extremfällen drohen bis zu zwei Jahre Haft. Auch die Bahn erstattet bei jedem Vandalismusdelikt Strafanzeige. Die Graffiti mit ihren "Tags" werden fotografiert, um sie den Sprayern zuordnen und Schadensersatz fordern zu können. "Beträge von oft vielen Tausend Euro können so auch noch Jahrzehnte nach der Tat eingefordert werden", so der Bahn-Sprecher. "Auch wenn die Täter zum Tatzeitpunkt minderjährig waren oder kein Einkommen hatten."

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