Das Miteinander baut Vorurteile ab

13.5.2015, 07:59 Uhr
Das Miteinander baut Vorurteile ab
Das Miteinander baut Vorurteile ab

© Stefang Hippel

Das Miteinander baut Vorurteile ab

© Alte Fotos: Stefan Hippel

In Ziegelstein deutet viel auf ein Miteinander hin. Die Lage am Stadtrand mit guter Verkehrsanbindung ist ideal für Familien wie Senioren; die Nahversorgung ist gut, das Veranstaltungsprogramm von Kirchen, Kulturladen und Vereinen vielfältig und bunt — kein Wunder, dass die aktuelle Benefizkonzertreihe für junge Flüchtlinge „Ziegelstein klingt bunt“ heißt.

Macht man sich vor Ort auf die Suche, wo das Miteinander mit Leben gefüllt wird, stößt man schnell auf einen Begriff, der auf den ersten Blick altmodisch wirkt: Brauchtum. In Ziegelstein ist die Pflege von Traditionen aber ein ganz modernes Bindeglied zwischen Jung und Alt. Im Brauchtumsverein, der 1990 gegründet wurde, treffen sich nicht nur die über 60-Jährigen zum gemeinsamen Singen, Tanzen oder Musizieren. Auch viele Jüngere gestalten das Vereinsleben aktiv mit, vor allem die mehr als 20 Kirchweihburschen und -madla.

Thomas Möller ist einer von ihnen. „Das Miteinander von alten, jungen, überhaupt von ganz unterschiedlichen Leuten, ist bei uns einfach toll“, schwärmt der 26-Jährige, der über seinen großen Bruder zu den Kirchweihburschen kam. Die Schublade, Brauchtum sei nur was für alte Leute, hat er daher nie aufgemacht. Ohne den Verein, überlegt Möller, hätten viele seiner Kollegen sicher weniger Kontakt zur älteren Generation und vielleicht mehr Vorurteile. „Das Miteinander im Brauchtumsverein hat bestimmt geholfen, Vorurteile abzubauen, auf beiden Seiten“, sagt er.

Die Kirchweih verbindet also schon hinter den Kulissen, aber natürlich auch während sie Ende Juli über die Bühne geht. Dann herrscht zehn Tage lang Ausnahmezustand und der ganze Stadtteil ist auf den Beinen. „Die Kirchweih ist der Höhepunkt im Veranstaltungskalender“, sagt Werner Volland, Vorsitzender des Brauchtumsvereins. Mehr noch: Ein Stück gelebte Tradition, dessen identitätsstiftende Wirkung das ganze Jahr über nachhallt, ist Volland überzeugt.

Das Besondere dieses Vereins ist, dass er nicht nur alte Traditionen pflegt, sondern inzwischen selbst neue Stadtteilrituale geschaffen und etabliert hat. Wie das monatliche Brotbacken, bei dem in einem nach historischem Vorbild selbst gebauten Backofen frisches, fränkisches Bauernbrot gezaubert wird – natürlich nach überlieferten Rezepten. Ein regelmäßiges Event, das Kinder wie Erwachsene gleichermaßen begeistert.

Viele Rückkehrer

Das Wir-Gefühl scheint in Ziegelstein ohnehin stark ausgeprägt und wird geschätzt. „Viele, die den Stadtteil etwa aus beruflichen Gründen verlassen, kommen wieder zurück“, erzählt Tobias Schmidt, Vorsitzender des Bürgerverein-Nord. Ihm selbst erging es so. Nun ist er froh, dass er sich mit seiner Familie unweit seiner Eltern und dem Haus, in dem er aufwuchs, in Ziegelstein niederlassen konnte.

Dass junge Mamas und Papas die Großeltern ums Eck haben, komme hier öfter vor als in anderen Stadtteilen. Viele der schmucken Siedlungshäuschen, von denen die ersten nach dem ersten Weltkrieg entstanden, werden innerhalb der Familie weitervererbt. Wenn Häuser doch mal verkauft werden, „dann gehen sie schnell weg, meisten über Mundpropaganda“, weiß Schmidt.

Bei Familien ist der Stadtteil begehrt. Mit dem Marienberg-park, dem Reichswald und dem Knoblauchsland ums Eck hat man es nie weit ins Grüne. Im Zentrum ist man dank der U-Bahn ebenfalls in zehn Minuten. Es gibt drei Kindergärten, vier Sportvereine und Jugendräume in den Kirchen. Nur an Hortplätzen mangelt es.

Bei so viel positivem Wir-Gefühl drängt sich allerdings eine Frage auf: Wie schwer haben es Neu-Ziegelsteiner, im Stadtteil Anschluss zu finden? „Nicht so superschwer“, findet Tobias Schmidt. Weil es das ganze Jahr über Veranstaltungen gebe, über die man schnell und unkompliziert in Kontakt kommen könne. „Da sind die vielen Sportvereine, Vorgartenflohmärkte, kleine Straßenfeste oder im Winter der Adventskalender.“ Wenn man nicht dort ins Stadtteilleben eintaucht, dann beim Einkaufen. Anders als etwa im Nachbarort Buchenbühl ist die Nahversorgung in Ziegelstein noch sehr gut. Ob Supermärkte, Bäcker, Metzger, Kleider- oder Blumengeschäft: alles da und fußläufig erreichbar. Dreimal in der Woche finden sich zusätzlich auf dem Fritz-Munkert-Platz verschiedene mobile Lebensmittelhändler ein.

„Wenn man in Ziegelstein jemanden treffen will, dann trifft man auch jemanden“, fasst Schmidt lächelnd zusammen. „Was Ziegelstein allerdings nicht hat, ist ein gemeinsam nutzbarer Versammlungsraum“, sagt er. Die Pfarrsäle in den Kirchengemeinden seien oft zu klein, der Bürgerverein sei seit langem auf der Suche nach einer Lösung. Dorothea Engelhardt vom städtischen Seniorennetzwerk Ziegelstein/ Buchenbühl weiß, dass gerade viele Senioren sich so einen Treffpunkt wünschen würden. „Manchen fehlt ein neutraler Ort, um mal ein Fest auszurichten, da das zu Hause nicht möglich ist“, so Engelhardt. Weil es daheim vielleicht zu klein oder nicht barrierefrei ist, verzichten viele auf Geselligkeit.

Kaffee und Literatur

Angebote für die ältere Generation gibt es aber durchaus. Das Café Litfaßsäule im Ziegelsteiner Kulturladen zum Beispiel, wo sich Senioren jeden Mittwoch von 15 bis 17 Uhr zu Kaffee und Kuchen treffen und austauschen können. Einmal im Monat organisiert das Seniorennetzwerk eine Inveranstaltung zu Themen rund ums Älterwerden. Und Literatur wird ebenfalls vorgelesen

Auch die Kirchen bieten diverse Seniorenkreise, Freizeit- und Hilfsangebote. Dorothea Engelhardt schätzt die Lebenssituation für aktive Senioren in Ziegelstein als sehr gut ein. Es gebe aber immer mehr sehr alte Menschen „und viele wollen natürlich so lange wie möglich zu Hause bleiben“, sagt sie. Diese gesellschaftliche Entwicklung stelle die entsprechenden Pflege – und Hilfsdienste vor enorme Herausforderungen. Engelhardt: „Aber jeder hier im Stadtteil ist bemüht, auf diese Veränderungen zu reagieren und neue Ideen zu entwickeln, zum Beispiel einen Hausnotruf einzurichten“.

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