Der Platz ohne Namen mitten im Stadtteil Maxfeld

9.5.2019, 11:28 Uhr
Nordischer Charme mitten im Maxfeld: das Goetheschulhaus anno 1910.

© unbekannt Nordischer Charme mitten im Maxfeld: das Goetheschulhaus anno 1910.

In Nürnberg– und nicht nur hier – scheint es drei Arten von Plätzen zu geben: Da gibt es Plätze, die qua Zuschnitt, Nutzung und Bezeichnung klar als solche zu erkennen sind. Dann gibt es jene, die sich „Platz“ schimpfen, aber jedwede Aufenthaltsqualität oder städtebaulichen Rahmen vermissen lassen. Und dann gibt es Plätze, die städtebaulich welche sind, aber nicht einmal einen Namen haben.

Die Kreuzung von Löblein-, Goethe- und Lindenaststraße in Maxfeld gehört zur letzten Kategorie: Gemäß den Baulinien, die die Stadt 1898 festgelegt hatte, mussten die Fassaden der Neubauten im Süden und Westen der Kreuzung merklich von der Straße zurückweichen.

Das war nur folgerichtig, denn die ungünstigen Winkel, in denen besagte Straßen hier aufeinandertrafen, machten eine platzartige Gestaltung zum Königsweg. Die Idee war allerdings nicht auf dem Mist der Stadtplaner gewachsen, sondern ging auf die Leitung der Volksschule Goethestraße zurück.

Ebenfalls in Klinkeroptik präsentiert sich der Nachfolgebau von 2009. Im Vordergrund befindet sich ein Aufgang des U-Bahnhofs Maxfeld.

Ebenfalls in Klinkeroptik präsentiert sich der Nachfolgebau von 2009. Im Vordergrund befindet sich ein Aufgang des U-Bahnhofs Maxfeld. © Sebastian Gulden

Diese Schule, 1897 bis 1898 im Auftrag der Stadt nach Entwurf von Otto Seegy errichtet, befand sich auf dem spitz zulaufenden Grund zwischen Goethe- und Lindenaststraße an der östlichen Flanke des namenlosen Platzes. Wäre die reiche Neorenaissance-Gliederung aus ortstypischem Sandstein nicht gewesen, das Gebäude mit seinen roten Klinkermauern hätte ebenso in Cuxhaven oder Flensburg stehen können.

Nicht jedoch der sehnsüchtige Blick in den hohen Norden, sondern ganz praktische Erwägungen waren der Grund für diese Lösung: Fassaden, die vornehmlich aus Ziegeln gefügt wurden, waren rascher erstellt als solche aus Haustein. Offenbar wollte man den Schulkindern den langen Aufenthalt in den unwirtlichen Schulbaracken ersparen.

Das königlich-bayerische Kultusministerium, Bauherr des zweiten Schulhauses am Platze, war da weniger pragmatisch: Als der Prunkbau der Kreisoberrealschule (heute Hans-Sachs-Gymnasium) 1901 bis 1903 ins Werk gesetzt wurde, errichtete man seine straßenseitigen Fronten aus Sandstein und Quarzit, verziert mit üppigem ornamentalen Schmuckwerk und Reliefbüsten zum Gedenken an bedeutende bayerische Philologen und Gelehrte, darunter der Schulreformer Friedrich Immanuel von Niethammer und der Physiker Georg Simon Ohm.

Als 1903 dieses Foto der Nordfassade des heutigen Hans-Sachs-Gymnasiums entstand, waren die Gerüste gerade erst gefallen.

Als 1903 dieses Foto der Nordfassade des heutigen Hans-Sachs-Gymnasiums entstand, waren die Gerüste gerade erst gefallen. © Hermann Martin (Sammlung Sebastian Gulden)

Den Planern Philipp Kremer und Joseph Förster stand für den Neubau ein ganz ähnlich geschnittenes Grundstück zwischen Lindenast- und Löbleinstraße zur Verfügung. Die Schaufassade richteten sie nach Norden aus. So erhielt der namenlose Platz an der Kreuzung der drei Straßen eine weitere, äußerst dekorative Wand mit Portikus, malerischem Schweifgiebel und zwei Dachreitern, die Stil und Gestaltung des GoetheSchulhauses bewusst zitierten.

Zur selben Zeit schlossen private Bauherrn die übrigen Ränder des Kreuzungsbereichs, und 1927, als ein von der Photogrammetrie GmbH München gechartertes Flugzeug über dem Maxfeld seine Runden drehte, fand der Luftfotograf einen geschlossenen städtischen Platz vor.

Eine alte Idee, neu interpretiert: der „Würfel“ und der Altbau des Hans-Sachs-Gymnasiums im Jahr 2014.

Eine alte Idee, neu interpretiert: der „Würfel“ und der Altbau des Hans-Sachs-Gymnasiums im Jahr 2014. © Boris Leuthold

Wie so oft in Nürnbergs Stadtgeschichte waren die Umstände dem Ensemble nicht hold. Durchmisst man heute die Löbleinstraße mit ihrer zumeist etwas spröden Architektur des Wiederaufbaus, grenzt es fast an ein Wunder, dass das Hans-Sachs-Gymnasium den Krieg äußerlich unbeschadet überstanden hat.

Seine kleine Schwester im Norden dagegen hatte weniger Glück: Erst zerstörten Fliegerbomben die Goethe-Schule 1942 bis auf die Grundmauern, dann fasste der Stadtrat in der Nachkriegszeit auch noch den Entschluss, Schule und Gebäude ersatzlos aufzugeben (ihr Sprengel ging auf die Friedrich-Hegel-Schule über).

So ist in unseren Tagen das einst strahlende Ensemble amputiert. Immerhin: Der 2009 vollendete Erweiterungsbau des Hans-Sachs-Gymnasiums mit dem „Würfel“ (Planung: Dotterweich-Bort Architekten), der heute anstelle der verschwundenen Goethe-Schule steht, schafft ein gewisses gestalterisches Gegengewicht zu den übrigen „Wänden“ des Platzes. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass die Stadt jenem Platz doch irgendwann einmal einen Namen spendiert. Wird auch Zeit nach mehr als 120 Jahren . . .

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