Der tiefe Fall vom Propheten zum Ketzer

4.7.2012, 00:00 Uhr

„Auf Umzügen und Triumphwagen feiern sich die Adeligen selbst als Inkarnation heidnischer Götter. Früher haben Stifter von Altären sich als kleine betende Figuren darstellen lassen. Jetzt aber nahmen die Auftraggeber selbst die Posituren von Heiligen ein. Man schaue sich nur dies Bild von Botticelli an, Die Heiligen Drei Könige: da schlüpfen die Medici in die Rollen der Heiligen: Lorenzo, Giuliano und der alte Cosimo als Kaspar, Melchior und Balthasar. Welch Vermessenheit! Auf den Scheiterhaufen mit dem Teufelswerk!“

So oder ähnlich mag Girolamo Savonarola (1452–1498) in seinen Bußpredigten gepoltert haben. Und die Florentiner – sofern sie seinen unverständlichen Dialekt verstanden – nickten zustimmend oder wandten sich kopfschüttelnd ab.

Der Dominikaner wetterte gegen Luxus und Ausschweifung

Florenz und Savonarola: das passt zusammen wie Nitro und Glyzerin. Ausgerechnet Lorenzo de Medici, genannt der Prächtige (1449–1492), der prominenteste Vertreter seiner Dynastie, hatte den Dominikaner 1484 nach Florenz geladen. Und was Savonarola zuvor in Ferrara erlebt hatte – Blüte der Renaissance und gleichzeitig die Diktatur der Este – das erlebte er in Florenz in gesteigerter Form. Obwohl Fra Girolamo sich bald von Florenz abwandte, holte ihn Lorenzo 1490 zurück. Die Gründe waren politisch idiotisch, menschlich aber verständlich. Lorenzo hatte für sich und die Seinen gesorgt und die Macht ausgebaut, soweit er nur konnte. Wohlgemerkt, für sein irdisches Heil. Doch für das himmlische Heil konnte er nicht mehr viel ausrichten. Geschlagen mit der Erbkrankheit der Medici – Gicht – ahnte Lorenzo seinen frühen Tod voraus.

Hinzu kam ein Umstand reichlich pikanter Natur: Florenz galt als Hochburg der Sodomiten. Das lag nicht nur an humanistischem Interesse an hellenischer Knabenliebe oder am aufgeschlossenen Klima der Stadt, sondern zugleich an der rigiden Ordnung. Heiraten durfte nur, wer sich etabliert hatte und Vermögen aufwies. Dies brachten Männer – wenn überhaupt – eher in fortgeschrittenen Jahren zustande, die Jungen mussten schauen, wie sie zurecht kamen. Bußprediger wetterten gegen die Vergeudung des Samens und somit gegen die Verhinderung der Nachkommenschaft. Auf Mönche und Pfarrer traf dieser Vorwurf nicht zu, da sie ihre Fruchtbarkeit einem höheren Zweck opferten und in reiner Keuschheit lebten – wie es wirklich aussah, kann man im „Decameron“ nachlesen.

Bruder Girolamo, der sich schon seinen Ruf als fulminanter Prediger erworben hatte, sollte also für eine besinnliche Stimmung in der Stadt sorgen, auf dass die Florentiner in sich gingen, und Lorenzo eine halbwegs geläuterte Stadt hinterlasse.

Savonarola erkannte die Absicht – und spielte nicht mit. Wohl wetterte er gegen Luxus und Ausschweifung, aber in einem radikaleren Sinne als von Lorenzo erhofft. Entweder man wandte sich bußfertig Gott zu und pflegte Askese, oder man lebte in Saus und Braus, auf Kosten der ewigen Seligkeit. Savonarola predigte über die Offenbarung des Johannes, beschwor das Weltgericht herauf, prangerte Philosophen und Gelehrte an, denunzierte die Poesie als wertloses Geschwätz, wetterte gegen die korrupte Papstkirche und stritt für die Armen und Entrechteten. Seine Fastenpredigten füllten den Dom von Florenz, immer mehr Parteigänger der Medici wandten sich dem Dominikaner zu.

Am 5. April 1492 schlug der Blitz in die Laterne der Domkuppel. Drei Tage darauf starb Lorenzo der Prächtige.

Das machte Eindruck. Ein Gotteszeichen? Lorenzos Sohn Piero war zwar mit dem Willen zur Macht, nicht aber mit dem politischen Geschick seines Vaters gesegnet. In kurzer Zeit verdarb Piero es sich mit Freund und Feind.

Nun erreichte Savonarolas Macht ihren Höhepunkt. Als 1494 König Karl VIII. von Frankreich in Italien einmarschierte, öffnete ihm Florenz die Tore. Piero floh von dannen, der Palazzo der Medici fiel der Plünderung anheim. Savonarola sah in Karl den großen Rächer, und rief einen Gottesstaat über Florenz aus. Herrscher sollte Christus allein sein. Da dies in persona nicht ging, brauchte es einen Stellvertreter. Aber nicht den Papst, der war korrupt! Tja, da bleibt ja nur noch einer übrig, doch Savonarola stellte es geschickt an: er begnügte sich bloß mit der Rolle des Propheten. Eines kleinen geringen Propheten, verkündete er, mit Moses könne er sich nicht messen. Demut ist nur Hochmut mit umgekehrtem Vorzeichen. Prompt sahen seine Anhänger in Savonarola einen zweiten Moses.

Beim Karneval warfen seine Anhänger Luxusgüter, edle Gewänder, aber auch Literatur und Gemälde auf riesige Scheiterhaufen. Homosex wurde schwer geahndet. Die Strafe beim erstenmal beschränkte sich auf eine Stunde Pranger. Beim zweitenmal gab es ein Brandzeichen auf die Stirn. Beim dritten Mal loderte der Scheiterhaufen. Prompt kam es zu einer Flut an Denunziationen mitsamt der altbekannten Praxis: die Vermögenden kauften sich frei, die Armen mussten leiden. Ein Umstand, der Savonarola sauer aufstieß: alle sollten büßen, reich wie arm! Nun waren auch die Vermögenden ihres Lebens nicht mehr sicher.

Es kam noch ärger: Kindermund tut Wahrheit kund! Gemäß dieser Wahrheit rief Savonarola eine Kinderpolizei ins Leben. Buben und Mädchen sollten Erwachsene denunzieren, und da Kinder als unschuldig galten und einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hegen, galt hier die Gefahr der Verleumdung als ausgeschlossen.

Papst Alexander VI. schlug zurück: 1497 exkommunizierte er Savonarola, ein Jahr später verhängte er das Interdikt über Florenz. Das bedeutete, dass keine kirchlichen Handlungen mehr stattfanden. Geburten, Hochzeiten, Beerdigungen – alles ohne den Segen der Kirche. Nun verlor Savonarola an Macht und Prestige. Die Franziskaner forderten den Dominikanermönch zur Feuerprobe heraus. Savonarola kniff, und die Stimmung schlug um.

Am 8. April 1498 verhaftete man Savonarola und verhörte ihn auf der Streckbank mit glühenden Kohlen. Zusammen mit zwei Klosterbrüdern machte man ihm den Prozess und verurteilte ihn als Ketzer. Am 23. Mai 1498 baumelte Savonarola auf der Piazza della Signoria am Galgen über lodernder Flamme – auf dem selben Platz, an dem die Schätze der Frührenaissance brannten. Seine Asche landete im Arno, auf dass nichts von dem Mann übrig bliebe, der Florenz beinahe ins Mittelalter zurückbefördert hätte.

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