Dichter- und Denkermetal

1.10.2020, 18:14 Uhr
Dichter- und Denkermetal

© Foto: Vanessa Drummer/Nioryn Photography

Es gibt Lieder, die sind wie ein durchlaufender Posten: zum einen Ohr rein, zum anderen raus. Und es gibt Musik, die verbucht man beim ersten Hören auf der Habenseite seiner persönlichen Musik-Bilanz. So ist das mit "schwarzweiss", der Debüt-Scheibe der sechsköpfigen Formation Kafkaesque aus Nürnberg.

Gut, Freunde des Schlagers, Hip Hopper oder Techno-Freaks werden mit der Art von Musik eher nichts anfangen können. Wer auf Metal und seine Spielarten steht, wer starke Gitarrenrhythmen, treibende Moshbeats und ohrwurmartige Refrains liebt, wer sowohl auf Growlen als auch kraftvollen Klargesang abfährt, der sollte sich unbedingt eingehender mit dieser Band befassen. Und kann übrigens in seiner Bilanz auch gleich eine neue Haushaltsstelle einrichten: Dichter- und Denkermetal. Was ein Fan in einem Kommentar einst so betitelte, ist wahrlich eine treffende Beschreibung und hat die Kreation eines eigenen Genres verdient.

In jetziger Besetzung spielen Kristina Wolf, Mo und Felix Kiesewetter, Albert Mathe, Max Freist und Alexander Schulz seit fünf Jahren zusammen. Warum es so lange gedauert hat, das erste Album auf den Markt zu werfen? Zum einen sind die Mitglieder der Kombo, die ihren Ursprung in Forchheim hat, mittlerweile verstreut bis nach Kulmbach und München. "Zum anderen haben wir trotzdem alles komplett in Eigenregie gemacht", erklärt Sänger und Mitgründer Mo (32), "übrigens neben unseren beruflichen Vollzeitjobs."

Und das bedeutet nicht nur, dass alle 13 Songs auf der CD natürlich selbst geschrieben und komponiert sind, im eigenen Studio aufgenommen sowie abgemischt und Textpassagen eingesprochen wurden. Auch das Booklet, bis auf das Artwork, ist selbstgemacht. "Wir wollten ein schönes Paket abliefern, worauf wir stolz sind, lieber sollte es etwas länger dauern", erklärt Mo. Und dieses Paket ist ihnen wirklich gut gelungen.

Wie es dem Namen gebührt, kommt das als Konzeptalbum angelegte Werk durchaus unheimlich und düster, bisweilen absurd daher – und auf Deutsch, eng angelehnt an die Lyrik des deutsch-tschechischen Dichters. Kafkaesk eben. "Schwarzweiss" ist eine Art Abrechnung mit der Spezies Mensch, eine Kritik an diversen Institutionen, aber auch Ausdruck der eigenen Dämonen.

Die Video-Single "Himmelskind" etwa erzählt von der Macht der Naturgewalten. In "Bestie" geht es um das Gefühl, im eigenen Strudel unterzugehen. "Geschwür" legt eindrücklich dar, dass der Mensch für die Natur selbiges ist. In "Kreuzritter" geht es darum, wie Religion als Vorwand genutzt wird, um Dinge zu tun.

Zugegeben: Das ist keine einfache Kost. Es ist keine Musik zum fröhlichen Entspannen im Liegestuhl. Die Texte gehen unter die Haut, berühren, rütteln auf. Sind, wie gesellschaftskritische Texte eben sein sollen: Sie bohren in Wunden.

"Wir sehen unsere Musik auch als Ventil, alles rauszulassen", sagt Sängerin Kristina. Etwas richtiggehend Befreiendes hätte das, findet die 29-Jährige mit den markanten roten Haaren. Was der Band derzeit am meisten abgeht? Natürlich: das sich Verausgaben auf der Bühne, das Live-Erlebnis: "Die Affinität zu Kafka und seiner mitunter bedrohlichen, absurden Lyrik ist ja nur ein Teil von uns", sagen Mo und Kristina augenzwinkernd: "Wenn bei unseren Gigs die Leute voll abgehen, dann macht uns das einfach tierisch Spaß."

Info: Aktuelle CD: Kafkaesque, "schwarzweiss" (über https://kafkaesque.de und auf allen bekannten Streaming-Portalen), https://www.scheppercore.de/shop/

Keine Kommentare