Die Fußstapfen von Bruder Martin

8.12.2007, 00:00 Uhr
Die Fußstapfen von Bruder Martin

© Bauer, Rödel

Sie kommen mit Ausschlägen und Hämatomen, Abszessen, Erfrierungen und verschleppten Entzündungen und – ja, immer wieder auch mit Läusen: Bei Roland Stubenvoll, Sebastian Balling, Florian Thomae und den Schwestern Dorothea und Ilona finden die Ärmsten der Armen vor allem medizinische Hilfe. Wenn Hochbetrieb herrscht, platzt die Einrichtung im Hummelsteiner Weg schon mal aus allen Nähten. «Vor allem bräuchten wir eigentlich ein richtiges Pflegebad», merkt Stubenvoll an.

Für die Betroffenen gibt es kaum eine Alternative zu «Bruder Martin». Denn «um gewöhnliche Arztpraxen machen viele einen großen Bogen», weiß der Pfleger und Leiter der Einrichtung. Schlimmer noch: «Viele verschleppen Krankheiten aus Scham oder pfuschen gar selbst herum.»

Besonders gefragt und gefordert ist der Mediziner Jens Schuler, der in Verbindung mit einem niedergelassenen Kollegen in der Straßenambulanz täglich Sprechstunde hält. Dabei bleibt sie von unsozialen Regelungen nicht verschont: Selbst hier müssen Notleidende – manche sind ja nicht mal krankenversichert – eine Praxisgebühr entrichten, und wenn es im Nachhinein ist oder aus der Kasse milder Gaben.

Denn hier, so die eiserne Devise, wird keiner abgewiesen. Aber auch das reicht nicht aus: In den Fußstapfen von Bruder Martin setzt die Straßenambulanz daher mit den Kollegen der Wärmestube in der Köhnstraße auch auf Streetwork. Bei Touren im und um den Hauptbahnhof, aber auch zu anderen einschlägigen Plätzen an Lüftungsschächten oder in stillen Winkeln haben sie immer ihr Köfferchen mit Pflastern, Salben und Tropfen dabei. «Oft bieten wir auch etwas zu essen an», erzählt Stubenvoll und berichtet vom Fall eines 70-Jährigen, der so erschöpft wirkte, dass ihn die Helfer umgehend ins Domus Misericordiae, die Obdachlosenunterkunft in der Pirckheimer Straße, brachten.

Von solchen Schlafstellen will Karl-Heinz S. (Name geändert) jedoch nichts wissen. Er sei «arbeits-, wohnungs- und obdach-, aber nicht hoffnungslos», versichert der 60-Jährige mit der überraschenden Heiterkeit eines Lebenskünstlers. Er macht seit Jahren «Platte» – und beziehe nicht einmal Leistungen der Arge, um sich nicht «gängeln und schikanieren» zu lassen. Zuletzt hatte er als Kellner in großen Festzelten «gar nicht schlecht verdient». Jetzt hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser – eine an sich nötige Brille oder gar eine Zahnbehandlung kann er sich freilich nicht leisten.

Wie er gehört auch Robert P. (Name ebenfalls geändert) zu den Stammbesuchern der Wärmestube. Der gelernte Schreiner hat nach fünf Jahren auf der Straße seit kurzem wieder eine kleine Wohnung. Ein Teufelskreis aus Sucht, Scheidung und Arbeitslosigkeit hatte ihn aus der Bahn geworfen. Ob er nun – 44 Jahre jung – noch einmal eine Arbeit findet? «Ich würde vieles machen, aber ich komme nirgends rein», klagt er und hofft nun vor allem, nach überwundener Alkoholabhängigkeit den Führerschein machen zu können.

Dass die Armut allgemein deutlich zugenommen hat, ist für Stubenvoll und seinen Kollegen Bernhard Gradner von der Wärmestube schon aus dem täglichen Betrieb ablesbar. «Da kommen immer mehr Menschen, die durchaus noch eine Wohnung haben, aber denen der Strom oder das Gas gesperrt wurden. Sie wollen bei uns zum Beispiel duschen oder bitten um eine warme Mahlzeit», sagt Stubenvoll. Und erst vor ein paar Tagen musste er eine Nürnbergerin mit Kind in eine Obdachlosenpension begleiten. (Siehe auch Standpunkt S. 10)

Die Weihnachtsaktion bittet herzlich um Spenden für die Einrichtungen der Obdachlosenhilfe - sie bürgen für unbürokratische, unmittelbare und effektive Unterstützung. Zur Erleichterung liegen der heutigen Zeitungsausgabe noch einmal vorgedruckte Überweisungsformulare bei, die dankenswerterweise von den Sparkassen im Großraum gestiftet wurden (Spendenkonten siehe auch Aktionskasten). Barspenden nehmen gerne die Geschäftsstellen der Zeitung an.