Die Schneiderin vom Männerknast

15.11.2008, 00:00 Uhr
Die Schneiderin vom Männerknast

© Klaus Schrage

Frau Mörtel-Then, mir ist der Spruch «Schneider können über`s Paradies nicht froh sein« aufgefallen. Sind Sie demnach genau an der richtigen Stelle?

Ulla Mörtel-Then: Es stimmt schon, an einem Nackten verdient ein Schneider kein Brot. Obwohl das Paradie generell erstrebenswert ist. Ich würde aber nicht sagen, dass das Gefängnis das Gegenteil, also die Hölle ist. Für manche Häftlinge ist es dramatisch, andere sind hier besser aufgehoben als draußen.

Warum arbeiten Sie hinter Schwedischen Gardinen?

Mörtel-Then: Ursprünglich habe ich damit nicht gerechnet. Zumal ich nie gedacht hätte, dass eine Schneidermeisterin Beamtin werden kann. Aber dann habe ich mich 1995 beworben, und wurde genommen. Generell habe ich hier ein spannendes Umfeld mit Menschen in einer besonderen Situation. Ich interessiere mich für Menschen und gebe gerne etwas weiter.

Haben sie schon woanders geschneidert?

Mörtel-Then: Klar. Ich habe meinen Beruf in Erlangen gelernt und dann 1983 gemeinsam mit meiner Mutter in meinem Geburtsort Vach ein Geschäft aufgemacht. Vier Jahre später bin ich für den Deutschen Entwicklungsdienst nach Lesotho gegangen.

Warum denn das? Wie kam es dazu?

Mörtel-Then: Ich war 23, wusste, dass ich in meinem Geschäft hätte weitermachen können. Aber ich habe mich gefragt, ob das schon alles ist im Leben. Ich wollte anderswo Erfahrungen sammeln. Eine Freundin, der ich davon erzählt habe, meinte flapsig: «Dann geh‘ doch nach Afrika.« So bin ich auf den DED gekommen. Als ich von dort die Zusage hatte, hatte ich zehn Tage, um mich zu entscheiden, Schließlich habe ich mein Hab und Gut bis auf 60 Kilogramm verkauft und bin nach Lesotho geflogen. Dort war ich dann zweieinhalb Jahre.

Was verändert ein solcher Aufenthalt?

Mörtel-Then: Er verändert den Blick auf die Welt. Damals gab es in Südafrika noch das Apartheid-System. Darauf musste ich mich erst einmal einstellen. Und dann wird einem bewusst, dass man sein Land vertritt, dass man Deutschland ist. Lesotho hat aber auch meinVerhältnis zur Zeit verändert. Ich bin offener, vielschichtiger und noch toleranter geworden.

Was ist eigentlich Ihr Sortiment?

Mörtel-Then: Wir nähen oder reparieren die so genannt Versorgungswäsche für die Anstalt. Dazu gehören die Kleidung, die Gardinen oder die Bettwäsche. Wir nehmen auch Änderungen vor. Daneben machen wir kreative Arbeiten. Das sind dann zum Beispiel Stofftiere oder Adventskalender.

Wer sind die Abnehmer?

Mörtel-Then: Alle, die in der Anstalt leben oder arbeiten. Wir arbeiten aber auch für Raumausstatter. Bei uns kann jeder einkaufen, der sich für unsere Produkte interessiert.

Wahrscheinlich zum absoluten Sonderpreis...

Mörtel-Then: Nein. Wir können ein bisschen billiger sein, aber wir dürfen nicht marktschädigend arbeiten. Es gibt aber auch keinen Grund für Niedrigpreise. Denn unsere Qualität ist auch wie draußen.

Wer arbeitet in Ihrer Schneiderei?

Mörtel-Then: Bei mir arbeiten derzeit fünf erwachsende Männer. Ich beschäftige keine einzige Frau.

Und wie ist das dann mit der Feinmotorik?

Mörtel-Then: Das ist kein Problem. Sie müssen bedenken, dass Schneider ursprünglich ein Männerberuf ist. Bei uns war das bis zum Zweiten Weltkrieg so. Wenn Sie sich in Thailand einen Anzug schneidern lassen, wird das ein Mann machen. Warum sollen Männer schlechter sein? Man kann auch mit großen Händen Schönes vollbringen.

Das haben Sie nett gesagt. Nun nähen viele Frauen gerne, weil es ein schönes Hobby ist. Wie ist das für die Häftlinge?

Mörtel-Then: Für sie geht es vor allem darum, dass sie einen Job haben. Ich freue mich aber immer, wenn ich mitbekomme, dass etwas hängen bleibt. Wenn etwa jemand nach zwei, drei Jahren wiederkommt und erzählt, dass er immer noch näht. Aber sie bekommen hier auch immer wieder eine persönliche Bestätigung. Wenn sie erleben, wie jemand ihre Arbeit kauft. Einfach, weil sie gefällt.

Und wie ist es mit der Kreativität?

Mörtel-Then: Ich habe eine ganz interessante Erfahrung gemacht,. Der erste Teddybär, den jemand macht, sagt viel über seinen Charakter aus. Mein erster Bär, Edgar, sieht eigentlich fürchterlich aus, inzwischen finde ich ihn aber total nett und würde ihn nie hergeben. Das Schöne gerade an solchen Arbeiten ist, dass es sie nie doppelt gibt.

Gibt es eigentlich eine Modenschau im Gefängnis?

Mörtel-Then: Das ist keine schlechte Idee. Aber eine Modenschau hätte keinen Sinn, weil unsere Gefangenen alle die gleichen Sachen tragen. Es gibt eine Einheitskleidung, es gibt eine Einheitsausstatttung.

Das klingt nach Sozialismus.

Mörtel-Then: Nein, das ist Knast.

Noch eine Frage: In ihrem Büro stehen zwei Wecker, auf denen der Satz «We can do it« steht, die aber vom Design her 50 Jahre vor Obama hergestellt sein müssten. Ist das ein Motto für Ihre Arbeit?

Mörtel-Then: Ja, das ist ein Motto für mich. Man kann etwas schaffen, wenn man es will. Dass meine Mitarbeiter in diesem Bewusstsein ans Werk gehen, wünsche ich mir tatsächlich.