Die Welthauptstadt der Modell-Eisenbahnen

4.5.2009, 00:00 Uhr
Die Welthauptstadt der Modell-Eisenbahnen

© Syrigos

Dem damaligen Stand der Stanz- und Prägetechnik entsprechend waren es zunächst großvolumige Vehikel, mit denen Buben im bürgerlichen Elternhaus spielten. Mit der Zeit und mit der fortschreitenden Verfeinerung der Herstellverfahren schrumpften auch die Maßstäbe – nach der brandgefährlichen Spiritus-Lok kam die mit Starkstrom betriebene elektrische Spielbahn.

Daraus wurde in Ansätzen schon vor dem zweiten Weltkrieg schließlich die in Form, Farbe und Funktion detailgetreue Modelleisenbahn. Ihr kometenhafter Aufstieg begann nach ersten Ansätzen um 1935 / 40 in den 1950er Jahren mit der Spurweite Halb-Null (H0) gefolgt von TT über N bis hin zu Z (Märklin). Er endete nach nur kurzer Glanzzeit mit dem sternschnuppengleichen Absturz der Sterne am Nürnberger Modellbahn-Himmel Mitte der 1990er Jahre und schließlich 2007 und 2008.

Rückblickend bleibt die Frage zu klären: Wer waren die Nürnberger Modellbahn-«Bauer», woher kamen sie und was wurde aus ihnen?

Der älteste Nürnberger Hersteller ist die Firma Matthias Hess, J. L. Hess. Sie wurde 1826 gegründet und durch Spielzeugautos und einfache Eisenbahnen berühmt. Die Firmengeschichte endete um 1941.

Die Firma Karl Bub wurde 1851 gegründet und in den 1960er Jahren aufgelöst. Bahnen wurden etwa ab 1903 gefertigt, elektrisch betriebene seit 1914. Vor 1915 gab es einen Produktaustausch mit den Firmen Carette und Issmayer, ab 1932 wurden Teile und Werkzeuge von Bing übernommen. Zwei große Versäumnisse beschleunigten den Niedergang der Firma: Ein Versuch, nach dem Krieg in den USA Fuß zu fassen, scheiterte an der falschen Spurweite: Dort wie in der Heimat war der Umstieg von der großen Spurweite auf H0 versäumt worden.

Johann Andreas Issmayer, gegründet 1861, bot um 1879 Schienenbahnen und umfangreiches Zubehör an. Die Produktion endete 1932.

Die Firma Ernst Plank wurde 1866 gegründet; sie ging um 1930 in der Firma Noris (Heimkino) auf. Dampfmaschinen, Schiffe und englische Dampfloks begründeten ihren Ruf; die erste elektrische Lok stammt aus dem Jahr 1882.

Ebenfalls 1866 gegründet wurde die wohl berühmteste Nürnberger Spielzeugfirma Gebrüder Bing. Die Gebrüder Ignaz und Adolf starteten als Handelsunternehmer, begannen 1879 mit der Eigenfertigung von Eisenbahnen und beschäftigten 1885 bereits 500, vor dem ersten Weltkrieg etwa 4000 Mitarbeiter. Mit 5000 Mitarbeitern war Bing 1928 schließlich der Welt größte Spielwarenfabrik mit einem Umsatz von 28 Millionen Reichsmark. Wegen finanzieller Schwierigkeiten wurde die Spielwarenfertigung 1932 aufgegeben, Werkzeuge und Teile übernahmen unter anderem Bub und Doll.

Im Jahr 1875 kamen die ersten Produkte der Firma Jean Schoenner auf den Markt: Dampfmaschinen, große und größte dampfbetriebene Eisenbahnen, darunter englische Modelle, für den bekannten Importeur Bassett-Lowke. Um 1912 verschwindet die Firma vom Markt.

Georges Carette & Cie.: Von einem Franzosen 1886 mit Unterstützung von Bing gegründet, endete die Firma schon 1917, weil der Eigentümer Deutschland verlassen musste. Elektrische Straßenbahnen waren der Verkaufsschlager; Bing übernahm die Reste der Firma.

Lehmann: Ernst Paul Lehmann begann 1881 mit Jean Eichner, dem Sohn eines Nürnberger Spielzeugfabrikanten, in Brandenburg mit der Herstellung von Spielwaren. 1948 durch die DDR-Machthaber enteignet, wagten die Söhne Wolfgang und Eberhard von Lehmanns Vetter Johannes Richter 1951 den Neubeginn in Nürnberg. Ihre Lehmann-Groß-Bahn (LGB) wurde zum Weltmarktführer mit Schwerpunkt USA – bis auf der Spielwarenmesse 2008 die Insolvenz bekannt wurde. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch mit einem Investor, der Pläne, aber keine «Kohle» hatte, kam Märklin (Göppingen). Der Branchenprimus wollte indes nur über eine Marktbereinigung Kasse machen – und verleibte sich LGB kurzerhand ein.

Gebrüder Fleischmann: Als Jean Fleischmann 1887 seine Gravieranstalt gründete, waren Schiffe das Lieblingsspielzeug nicht nur des deutschen Kaisers. Wasserspielzeug aller Art war der Verkaufsschlager; Prachtstücke dieser Ära zieren noch heute die Fleischmann-Dauerausstellung im Stadtmuseum Schwabach. Modellbahnen kamen erst ab 1938 durch die politisch bedingte Übernahme der Firma Doll hinzu; die «kleine» Spur H0 schließlich 1952. Acht Jahre nach Arnold präsentierte Fleischmann 1968 die N-Spur («Piccolo»). Pionierarbeit und Detailtreue machen den Namen bis heute zu Marktführer. Fehlendes Kapital und eine überzogene Lagerhaltung gelten in der Branche als Grund für das «Aus» im Februar 2008. Heute gehört die Marke zusammen mit der österreichischen Marke Roco unter dem Dach der Modellbahn GmbH in Bergheim bei Salzburg zum Finanzimperium des Baustoffherstellers Franz-Josef Haslberger aus Freising. Er hatte beide Firmen vom Raiffeisenverband Salzburg gekauft. Aus dieser

Ecke kamen auch die letzten Löhne und Gehälter der Fleischmann-Mitarbeiter.

Josef Falk: Die Firma wurde 1896 gegründet und ist bis heute für ihre «Storchbein»-Dampfloks mit nur zwei Achsen bekannt. Nach dem Ersten Weltkrieg soll das Inventar der Firma von Plank und Schoenner übernommen worden sein.

Doll & Co.: 1898 gegründet, gehörten Eisenbahnmodelle erst ab 1927 zur Produktpalette. Nach der Arisierung der Firma führte Fleischmann die Produktion weiter. Noch heute erinnert der Name auf dem Türschild am einstigen Fleischmann-Hauptsitz Kirchenweg 13 an Doll.

Arnold: Mechanisches Spielzeug aus Blech war die Domäne der 1906 gegründeten Firma. Nach 1945 kamen Kunststoffprodukte hinzu, erst ab 1958 die Modellbahn. Unter dem Produktnamen «rapido» feierte auf der Spielwarenmesse 1960 die in Nürnberg erfundene Spurweite N (= 9 Millimeter) Premiere. Der Stammsitz in der Deutschherrenstraße 45 und der Fabrikationsstandort Mühlhausen / Sulz (Kreis Neumarkt) gingen im August 1995 in die Insolvenz; Den Modellbahnbereich übernahm der italienische Hersteller Rivarossi. Zusammen mit Arnold firmieren beide Produktnamen heute bei der Hornby-Gruppe.

Trix: Ein Konsortium unter Beteiligung von Stefan Bing übernahm 1927 den Spielwarenhersteller Andreas Foertner, eine frühere Zinngießerei. 1930 kam unter dem neuen Markennamen Trix ein neuartiger Metallbaukasten auf den Markt. 1935 kam die erste Modellbahn (Spur 00, Markenname Trix Express) hinzu, 1938 wurde die Firma an Ernst Voelk verkauft. Erst 1947 konnte der den kriegszerstörten Betrieb fortführen; 1966 ging die Firma an die Schildkröt-Gruppe, 1971 an Gama-Mangold, ehe sie 1997 schließlich mit Gama von Märklin übernommen wurde.

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