EhrenWert-Preis im Juni

Diese Nürnbergerin hat ein riesiges Herz für Senioren

7.7.2021, 16:33 Uhr
Wer Lia Sommer nicht kennt, hat etwas verpasst. Da sind sich die Bewohner der Gartenstadt einig.

© Roland Fengler, NNZ Wer Lia Sommer nicht kennt, hat etwas verpasst. Da sind sich die Bewohner der Gartenstadt einig.

Es ist ein Sommer wie gemalt. Wenn Lia Sommer ihren Namen schreibt, gleicht das einem Kunstwerk, gemacht mit Feder und Tinte. Das "S" schwingt sich zu zwei großen Bögen, hinter dem die beiden kleinen "m" wie Wellen davon gleiten. "Ich habe schon immer gerne geschrieben", sagt Sommer. Bei Kabarettist Oliver Tissot hat sie sogar mal einen Kaligraphie-Kurs besucht, "aber das meiste konnte ich schon", verrät die Nürnbergerin und lacht.


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Lia Sommer schreibt viel, am liebsten Briefe. In den vergangenen Monaten an die Senioren der Gartenstadt, um die sie sich so leidenschaftlich kümmert. Heute ist die 84-Jährige eine von ihnen, trotz ihrer knalligen roten Haare und ihrem jugendlichen Lächeln. Ein Herz für Ältere hat Lia Sommer aber schon, als sie noch nicht zu ihnen gehört. Vor 40 Jahren gründet die langjährige Stadträtin in Eigenregie die Seniorenbegegnungsstätte Gartenstadt. Bis heute ist sie deren Leiterin.

Heimweh nach Nürnberg

Sie wollte immer etwas für Senioren tun. "Weil mir in meinem Leben oft ältere Menschen geholfen haben", erinnert sich Sommer. Etwa als die gebürtige Nürnbergerin in ihre Heimatstadt zurückkehrt. Zehn Jahre zuvor hat ihre Familie im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs alles verloren und muss Mittelfranken verlassen.

Sie kommt nach Baden-Württemberg, wirklich glücklich werden Sommer und ihre Mutter in der Fremde aber nie. Als die Tochter nach ihrer Ausbildung zur Kontoristin an ihrem Arbeitsplatz in einem Eisenwarenladen unglücklich ist, wird ihre Mutter deutlich: "Dann musst du eben als Erste nach Nürnberg zurück."

15 Jahre ist Lia, die eigentlich Juliane Sommer heißt, als sie allein in der Straßenbahn sitzt und zum Rennweg fährt, um sich ein Zimmer anzuschauen. "Mir saß eine ältere Frau gegenüber, die mich total nett angeschaut hat", sagt Sommer. Das macht der Teenagerin Mut. Als sie später bei der Familie klopft, von der sie hofft aufgenommen zu werden, öffnet just die Frau aus der Straßenbahn.

Ein Glücksfall für die SPD

Eine von vielen Begegnungen, die Lia Sommers Leben positiv beeinflussen. Eine andere bringt sie als Mitarbeiterin zur AOK. Dort lernt sie ihren Mann Erich kennen. Der wiederum bringt sie zur SPD. Ein Glücksfall. Für Sommer, vor allem aber für Nürnbergs Sozialdemokraten. Noch heute ist die 84-Jährige im Parteieinsatz, unterwegs in ihrem Viertel, der Gartenstadt. Für den Stadtrat bewirbt sie sich auf Drängen ihres Mannes. "Er sagt: Mach das!"

Doch was genau sie machen muss, weiß Lia Sommer noch nicht, als sie für ein verstorbenes Stadtratsmitglied nachrückt. Auf der Toilette erklärt ihr deshalb die Frau eines Freundes: "Du musst halt ab und zu einen Geflügelzuchtverein besuchen."

Zwei Sachen, die in der Seniorenbegegnungsstätte Gartenstadt nicht fehlen dürfen: Schafkopfrunden - und Lia Sommer.

Zwei Sachen, die in der Seniorenbegegnungsstätte Gartenstadt nicht fehlen dürfen: Schafkopfrunden - und Lia Sommer. © Eduard Weigert, NN

Lia Sommer macht viel mehr aus ihrem Amt. Den Tipp nimmt sie auf ihre Weise ernst, der enge Kontakt zu den Menschen in ihrer Nachbarschaft ist ihr besonders wichtig. Das lohnt sich: Gleich dreimal wird sie wiedergewählt, mit der Vielzahl ihrer Stimmen kommt sie bis auf Listenplatz zwei.

Noch immer ist die SPD für sie "die einzige Partei, die etwas für die Menschen tut". So wie Lia Sommer. Besonders im Sozialausschuss engagiert sie sich und pflegt den Kontakt zu allen Pflegeheimen und Altenclubs.

Spenden sammeln für Senioren-Treff

Doch ausgerechnet dort, wo ihre Familie lebt, fehlt genau das. Das will Sommer ändern, auch für die älteren Nachbarn, die immer mit ein Auge auf ihre drei Kinder haben. Als 1981 eine Fahrschule in der Gartenstadt zumacht, steht sie bei der Genossenschaft auf der Matte. Mit Erfolg. Bis heute zahlt die Seniorenbegegnungsstätte weder Miete noch Heizung.

Lia Sommer investiert viel Zeit und Energie. Zunächst sammelt sie 30.000 Mark, um die Räume einzurichten, zum Beispiel für eine Küche. Die Vorhänge und Tischdecken näht sie selbst. Ihr Mann bezeichnet den Treff bald als ihr zweites Wohnzimmer.

Ihre Aufgabe im Heckenweg wird für Lia Sommer zum Vollzeitjob. Sie bekommt kein Geld dafür, aber ein gutes Gefühl. Weil die Begegnungsstätte genau das bewirkt, was Sommer sich erhofft hat: "Wir haben die Älteren in der Gartenstadt aktiviert und zusammengebracht."

Auch zu Weihnachten wird in der Seniorenbegegnungsstätte Selbstgemachtes verkauft - und der Gewinn an "Freunde für alle" gespendet..

Auch zu Weihnachten wird in der Seniorenbegegnungsstätte Selbstgemachtes verkauft - und der Gewinn an "Freunde für alle" gespendet.. © Stefan Hippel, NN

Manchmal sogar buchstäblich. Sind am Anfang noch viele Paare unter den 43 Mitgliedern, die Sommer direkt zu Beginn des Projekts zählt, werden es später mehr Einzelpersonen. Die aber dank der Begegnungsstätte nicht allein zuhause sitzen. "Hier haben schon mindestens zwölf Paare zusammengefunden", sagt Lia Sommer mit ihrer liebenswerten hohen Stimme und zwinkert durch ihre achteckigen Brillengläser.

Ein Erfolgsmodell ist die Begegnungsstätte schon seit ihrer Gründung. Schnell sind die zwei Öffnungstage zu wenig, bald kommen zu Kaffeetrinken und Bastelnachmittagen auch Quizrunden, Schafkopfabende, Konzerte, gemeinsames Singen. Und sogar Modeschauen - mit Models aus der Gruppe und echter Sommer-Mode. "Ein, zwei Kollektionen habe ich mir dafür jedes Jahr einfallen lassen."

Sie ist die Mutter der Gartenstadt

Die Menschen vor Ort wissen, was sie an der Frau haben, die 100 Stunden im Monat in die Begegnungsstätte steckt. Weil der Treff im Corona-Jahr nicht öffnen kann, hat Sommer den Senioren Briefe geschrieben, um ihnen zu zeigen: Sie sind nicht allein. "Sie ist die Mutter der Gartenstadt", sagt Christl Löser, eine Weggefährtin. Sie weiß: "Wer Lia Sommer nicht kennt, hat etwas versäumt."

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